BOKU-ForscherInnen publizieren in „Current Biology“ über gravitropische Ausprägung des Wurzelsystems.

ForscherInnen der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) haben jetzt herausgefunden, wie Pflanzen entscheiden ob sie ihr Wurzelsystem entweder radial oder axial in den Boden bohren. Das Forscherteam vermutet, dass man über diesen Mechanismus ein Wurzelsystem stark beeinflussen könnte: Lösungen für Bewässerungsprobleme oder Konkurrenzen unter Nutzpflanzen rücken damit in greifbare Nähe. Ihre Arbeit wurde soeben in der international renomierten Zeitschrift „Current Biology“ publiziert. Pflanzen liefern uns Nahrung, sind wichtige Sauerstofflieferanten und daher überlebenswichtig für uns Menschen. Zudem nutzen wir sie als Energie- und Werkstoffe - so ist z.B. das Feuer eine sehr frühe kulturelle Errungenschaft des Menschen und auch heute noch benutzen wir aus Pflanzen gewonnen Kraftstoffe. Pflanzenmaterialien sind zudem äußerst praktisch, kleiden uns vorzüglich und wir lieben es unsere Speisen mit Kräutern und Gewürzen zu verfeinern. Für viele ist ein Tag ohne Kaffee, Tee oder Tabak undenkbar, für andere hingegen schlichtweg nur ein Laster. Wir schwören seit Jahrtausenden ungebrochen auf pflanzliche Heilmittel und erfreuen uns aus ästhetischen Gründen an begrünten Bauwerken oder den nett gemeinten Blumenstrauß. Gerne lassen wir uns von ihrem Blütenduft betören. Bei solch einer engen und sozusagen begrünten Vernetzung unserer Kultur erscheint es nicht befremdlich, dass Wissenschafter mit großem Eifer der Pflanzenentwicklung auf der Spur sind. Pflanzen bilden ein eigenes Reich innerhalb der Lebewesen und haben vieles mit uns gemeinsam - wie etwa Zellen, Zellorganellen und DNA. Daneben haben Pflanzen mit einem ähnlichen zellulären Rüstwerk ihre eigenen Strategien entwickelt, um sich der ständig wechselnden Umgebung anzupassen. Pflanzen gewinnen ihre Energie indem sie Sonnenstrahlen mit ihren grünen Blättern einfangen. Wasser und Nährstoffe nehmen sie hingegen für uns zumeist verborgen mit ihren Wurzeln auf. Dabei gibt es Pflanzenarten, die diese Wurzeln sehr tief in die Erde treiben um an tiefe Wasserreserven zu kommen. Andere Pflanzen hingegen bevorzugen ein eher radiales Wurzelnetzwerk und nehmen in wenigen Zentimeter Tiefe auf was sie brauchen. Mit ihren Wurzelsystemen haben sich Pflanzen also auf sehr diverse Umgebungen spezialisiert. Dies ist ein wichtiger Grund warum nicht jede Pflanzenart in jeder beliebigen Umgebung gedeiht. Bereits Charles Darwin, dem Entdecker der modernen Evolutionstheorie, war von der pflanzlichen Verhaltenskunde fasziniert und schrieb zusammen mit seinem Sohn Francis ein Buch über Pflanzenwachstum (The power of movement in plants). So fiel ihnen zum Beispiel auf, dass der Spross nach oben und Wurzeln nach unten wachsen - was in der Wissenschaft als Ortho-Gravitropismus beschrieben wird. Auch folgerten sie, dass ein mobiler Botenstoff Wachstum regulieren kann. Dieser Botenstoff - Auxin - wurde erst viel später isoliert. Der Name Auxin ist griechisch motiviert und bedeutet frei übersetzt „zu wachsen“. Vom WWTF (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefond) unterstützte Forscher der Universität für Bodenkultur Wien  haben jetzt herausgefunden, wie Pflanzen entscheiden ob sie ihr Wurzelsystem entweder radial oder axial in den Boden bohren. Das Forscherteam um Dr. Jürgen Kleine-Vehn sind auch dem lange bekannten Botenstoff Auxin auf der Spur. Ihre Arbeit wurde soeben in der international renomierten Zeitschrift „Current Biology“ publiziert. Wurzeln wachsen auch noch in der modernen Forschung nach unten, es gibt aber doch feine Unterschiede. Die sogenannte Hauptwurzel wächst in der Tat meist nach unten und somit der Gravitation entgegen. Die Wurzel ist aber hochgradig verzweigt und die Seitenwurzeln kümmern sich scheinbar weniger um ein positiv gravitropisches Wachstum. Sie haben eine Wuchsrichtung die es ihnen erlaubt, sich von der Hauptwurzel zu entfernen. Diese im Vergleich zur Hauptwurzel veränderte Antwort erlaubt es Pflanzen sich überhaupt flächendeckend in ihrem Substrat auszudehnen. Die Wiener Forschung beschreibt auf zellulärer Ebene wie der Botenstoff Auxin in der Spitze der Seitenwurzeln gezielt limitiert wird. Dabei kamen sehr aufwendige Mikroskopische Verfahren zur Anwendung. Der Botenstoff Auxin wird in Pflanzen von Zelle zu Zelle transportiert. Die Auxinmenge vermittelt den Zellen wie stark sie wachsen sollen. Es entscheiden einige wenige Zellen in der Spitze der Wurzel wieviel vom Botenstoff Auxin entlang der Wurzelflanke entsendet wird. Solch spezialisierte Zellen verfügen über gravitropische Sensoren, die sogenannten Statolithen. Damit erkennen diese Wurzelhauben-Zellen in welcher Orientierung sich die Wurzelspitze befindet. Gibt die Wurzelhaube viel Botenstoff zu einer Wurzelflanke weiter, so wird sich eine Seitenwurzel, nachdem sie aus der Hauptwurzel entwachsen ist, stark krümmen und daher nach unten wachsen. Dagegen führt eine geringe Auxintransportrate dazu, daß die Seitenwurzel weniger gravitropisch und verstärkt radial auswächst. Mittels diesem System kann ein bestimmtes Entwicklungsprogramm durch hohen oder geringen Auxintransport in den Wurzelhauben entscheiden, ob das Wurzelsystem hauptsächlich parallel zur Oberfläche oder in die Tiefe wächst. Das Forscherteam vermutet, dass man über diesen Mechanismus ein Wurzelsystem stark beeinflussen könnte: Nutzpflanzen sind in ihrer Umgebungskompatibilität eingeschränkt und sehr häufig nicht heimisch. So wäre es z.B. möglich Nutzpflanzen darauf zu trimmen, ihre Wurzeln tiefer in den Boden zu bringen. Damit könnten diese eventuell in wasserreichere Regionen eindringen und ihre Umgebung besser ausnutzen. In vielen Regionen ist die direkte Bodenoberfläche größtenteils zu trocken um gewisse Pflanzen nutzbar zu machen. Dies wird derzeit mittels aufwendiger Bewässerung ausgeglichen, die ständig gegen Verdunstung auf der Oberfläche ankämpfen muss. Auch könnten wissenschaftliche Erkenntnisse über Wurzelsysteme weltweit helfen um die Konkurrenz unter Nutzpflanzen im Boden zu verringern: Wurzelsysteme, die vornehmlich in die Tiefe wachsen, überkreuzen sich weniger mit den Nachbarn. Damit könnte der Abstand bestimmter Nutzpflanzen verringert werden und deren Ertrag pro Fläche gesteigert werden. Kontakt / Rückfragen:
Dr. Jürgen Kleine-Vehn
BOKU Wien / Institut für
Angewandte Genetik und Zellbiologie
Tel.: 47654 6375
juergen.kleine-vehn(at)boku.ac.at


11.04.2013