Leben im Plastikzeitalter

Von Kulturen lange vor unserer Zeit finden Archäologen heute nur noch vereinzelt Überreste: Dabei sind die Fundobjekte oft nur noch bruchstückhaft erhalten, nur selten gibt es Glücksfälle, in denen materielle Hinterlassenschaften oder menschliche Überreste durch Sauerstoffentzug etwa in Torfschichten oder Gletschereis gut konserviert wurden.

Kunststoffe wurden vor einem Jahrhundert als ein Material entwickelt, das das Problem der Kurzlebigkeit von Naturstoffen behebt und auch nicht auf natürliche Weise abgebaut wird. Die Industrialisierung und Massenproduktion führte dazu, dass Plastik inzwischen in allen Lebensbereichen Einzug gehalten hat - und mit seiner Langlebigkeit auch noch in 500 bis 5000 Jahren chemisch zum Großteil intakt sein wird. Archäologen der Zukunft werden so einmal nahezu perfekt erhaltene Objekte aus Plastik aus allen unseren Lebensbereichen auffinden - werden sie uns dann als Menschen des “Plastic Age” bezeichnen?

Dieser Frage geht die BOKUdoku: Plastic Age - Forever? nach.

Hier ansehen in voller Länge:

Bis zur Mitte des 19. Jahrhundert waren Handwerk und Manufakturen ausschließlich auf die Verarbeitung von Naturstoffen ausgelegt: Holz, Metall, Naturfasern, etc. Credits: Zeiss

Der Kunst Stoff: Eine Erfolgsgeschichte?

Ein Material, das nicht rostet und nicht verrottet, das widerstandsfähig ist, sehr lange haltbar ist und leicht verarbeitet werden kann - das war das Ziel. Die Erfindung dieses künstlichen Stoffes kam einem Sieg über die Natur gleich und wurde möglich durch die Fortschritte in der Chemie und durch die Industrielle Revolution.
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wird der umgangssprachlich als “Plastik” bezeichnete Kunst-Stoff zum Massenprodukt, das alle Lebensbereiche radikal verändert.

Das Wort “Plastik” kommt ursprünglich aus dem Griechischen und bezeichnet die bildende und formbare Kunst - so wird ein dreidimensionales, körperhaftes Objekt (Statue, Büste) auch heute noch als Plastik bezeichnet.

 

Das Produktionsvolumen von Plastik steigt seit den 1960er Jahren exponentiell: Asien produziert den größten Anteil und verschifft diesen in die ganze Welt.
Im Gegenzug exportiert die westliche Welt Kunststoffabfälle wieder nach Asien - und das in großen Mengen. China verhängte 2018 einen Import-Stop, dadurch geht der größte Anteil des Plastik-Mülls momentan nach Malaysia, wo es wenige Gesundheitsauflagen gibt und es zu einer Weiterverarbeitung unter Anwendung fragwürdiger Praktiken kommt.

Wußten Sie, dass Henry Ford 1941 ein “Hanfauto” vorstellte?

Die sojafaser-verstärkten Karosserie-Flächen dieses Prototypen führten zu einer Gewichtsreduktion von 1,4 auf 0,9 Tonnen. Die genauen Angaben über die verwendeten Fasern waren widersprüchlich, dennoch etablierte sich der Name "Hempcar" - “Hanfauto”. Mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde die Automobilproduktion erheblich eingeschränkt, danach hatten sich bereits andere Kunststoffe verbreitet. Dadurch wurde das "Hanfauto" nicht realisiert. Mehr Infos auf Wikipedia

 

Wir verwenden Kunststoff falsch

"Kunststoffe sind vielfältig einsetzbare Materialien, die in ganz unterschiedlichen Anwendungen absolut Sinn machen. Aber in den meisten Bereichen verwenden wir Kunststoffe für den kurzfristigen Einsatz: in Verpackungen oder für Einweg-Anwendungen - dafür sind sie nicht gemacht."

Mehr Lesen: Biokunststoffe nachhaltig einführen - erfassen - verwerten (Broschüre des Landes Niederösterreich)

Plastik im Meer, Mehr Plastik im Boden

Mit den stark steigenden Produktionsmengen steigen auch die Mengen an Kunststoffabfällen drastisch. Nur bezogen auf Kunststoffverpackungen werden weltweit ca. 26 Millionen Tonnen Müll im Jahr nicht entsorgt, sondern landen in der Umwelt: in den Meeren und in den Böden.
Von Kunststoffmüll in Meeren kennen wir mittlerweile dramatische Bilder: riesige Müllinseln, die auf den Ozeanen treiben, Fische, Schildkröten und andere Meerestiere, die den Kunststoff mit Nahrung verwechseln und daran verenden.
Wissenschaftler schätzen, dass die Kontamination unserer Böden durch Plastik-Abfälle noch bis zu 20 mal höher ist als in den Ozeanen.

Von Mikroplastik spricht man wenn größere Plastikteile durch Reibung, Witterung oder UV-Strahlung zu kleineren Fragmenten zerfallen. Dabei wird das Material aber nicht chemisch oder biologisch abgebaut, sondern zerfällt einfach in immer kleinere Teile - das Volumen bleibt gleich, die Oberfläche vergrößert sich jedoch entsprechend. Die Fragmente werden dadurch mobiler und von Wind und Wasser weiter verteilt. Mit zunehmender Oberfläche werden mehr Additive (also chemische Zusätze) in die Umgebung abgegeben.

Polyester - eine Mikroplastikschleuder in der Waschmaschine

"Polyestertextilien wie zum Beispiel Fleecejacken geben, gerade wenn man sie die ersten Male wäscht, viele hunderttausende Mikroplastikpartikel ins Abwasser ab. In der Kläranlage werden diese Partikel dann herausgefiltert und je nach dem welchen Verwertungspfad ein Land oder Bundesland für Klärschlamm hat, möglicherweise als Dünger auf Felder ausgebracht. Dort kommen sie dann über die angebauten Pflanzen oder Gemüse unter Umständen wieder als Lebensmittel auf unsere Teller. Mittlerweile haben wir in Stuhlproben von ProbandInnen auf allen Kontinenten Mikroplastik nachweisen können."

 

Mehr Lesen:

Publikation: Mikroplastik in der Umwelt - Vorkommen, Nachweis und Handlungsbedarf

Credits: Heinrich-Böll-Stiftung

Das Plastik in uns

Von einigen Additiven wissen wir mittlerweile, dass sie toxisch (z. B. bromierte Flammhemmer seit 2004 EU-weit verboten) oder gesundheitlich bedenklich (z. B. hormonell aktiv) sind. Insgesamt ist eine Regulierung aber sehr schwierig, da eine unübersichtliche Vielzahl von chemischen Zusammensetzungen und Herstellern existiert und die Forschung (besonders der Langzeitfolgen) noch am Anfang steht. Nachgewiesen wurde Mikroplastik mittlerweile im Trinkwasser, in der Luft und in diversen Lebensmitteln, fünf Gramm Mikroplastik nimmt jeder Mensch pro Woche laut einer Studie zu sich, das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte. Über die langfristigen gesundheitlichen Folgen können wir im Moment nur spekulieren.

Die 3 Rs: Reduce, Reuse, Recycle

Für die nahe Zukunft ist es wichtig die Kunststoff-Abfallmengen zu reduzieren (reduce) - dazu kann jede(r) persönlich beitragen und beispielsweise im Supermarkt oder Nahversorger Produkte wählen, die weniger oder keine Plastikverpackung haben: Obst und Gemüse in Textilnetzen, Milch in der Glasflasche.

Viele Kunststoffgebinde können öfter verwendet werden (reuse). Der Klassiker ist hier die PET-Flasche, die vom Getränkeabfüller gereinigt und wiederbefüllt werden kann.

Mehr lesen: Abfallvermeidung & Re-use 

Alles, was nicht direkt wiederverwendet werden kann, sollte zumindest recycelt werden. In diese Richtung gäbe es noch sehr viele Möglichkeiten, die aber von der unüberschaubaren Vielzahl von unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen von Kunststoffen gebremst werden: Ein Recycling ist meistens nur von sortenreinen Stoffen möglich. Die letzte Möglichkeit sollte das energetische Recycling sein, wo zumindest die gebundene Energie durch verbrennen "zurückgeholt wird" - dabei wird allerdings wieder fossiles CO2 freigesetzt - eine stoffliche Verwertung sollte deshalb immer Vorrang haben. 

Mehr lesen: BOKU Forschungsprojekt: Circular Economy of Waste

 

Die Lösung: Bioplastik

"Es gibt heute für praktisch jede Anwendung wo herkömmliches Plastik verwendet wird eine Bioplastik Alternative. Wichtig ist hier nur, dass auch alle Additive "bio" sind und medizinisch unbedenklich. Einzig der Preis ist noch das Problem, Erdöl-basiertes Plastik ist schlichtweg "zu billig" in der Herstellung, wenn die Folgekosten für Umwelt- und Gesundheitsprobleme nicht eingerechtet werden."


Irene Schillinger verwendet in ihrer Swing Kitchen ausschließlich natürliche Materialien: die Trinkbecher sind aus PLA (Polylactic Acid - ein Kunststoff der aus Maisstärke hergestellt wird), die Strohalme aus echtem Stroh. "PLA ist zwar deutlich teurer als erdölbasierter Kunststoff, aber Gäste wissen das durchaus zu schätzen und sind bereit dafür ein paar Cent mehr auszugeben", ist sie überzeugt.

Kunststoff-Recycling

"Während das Recycling von sortenreinen Kunststoffen mittlerweile technisch keine Herausforderung mehr ist und zum Beispiel bei PET-Flaschen auch schon großflächig angewendet wird, scheitert das Recycling anderer Kunststoffarten noch an der Wirtschaftlichkeit, Politik oder Logistik. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Verbundstoffen (z. B. mehrlagige Folien), die praktisch nicht recyclebar sind. Hier braucht es meiner Meinung nach strengere Regulierungen und entsprechende Gesetze."

Bioplastik gehört nicht in den Biomüll

"Der Inhalt eines Bioplastiksackerls ist das Wertvolle - nämlich wenn Biomüllabfälle und ihre wertvollen Nährstoffe im Bioplastiksackerl zum Kompost gebracht werden und nicht im Restmüll verloren gehen. Bioplastiksackerl selbst bringen im Kompost keinen Mehrwert und sollten besser wie jedes andere (Bio-)Plastik über den Restmüll entsorgt werden."

Mehr Lesen: Abfallanalytik und Umweltforensik

Den Kohlenstoffkreislauf schließen

Herkömmliche Kunststoffe werden typischerweise aus fossilen Rohstoffen (wie Erdöl) hergestellt und landen, wenn sie nicht recycelt werden können, im Restmüll. In der Müllverbrennungsanlage wird das im Erdöl gebundene CO2 dann endgültig in die Atmosphäre freigesetzt und trägt damit zur Klimaerwärmung bei. Ein nachhaltiger Kunststoff hingegen wird aus einem Naturstoff wie z. B. Zellulose (Holz), Maisstärke oder Zucker hergestellt, dient nach der Nutzung wieder als Nährstoff für Pflanzen und bildet so wieder das Ausgangsmaterial für neue Biokunststoffproduktionen. Ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf, wo immer die gleiche Menge CO2 aufgenommen und wieder abgegeben wird, sollte das fundamentale Prinzip jeder nachhaltigen Materialproduktion der Zukunft sein.

Plastik – Wege aus der globalen Kunststoffhalde

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