„Entrepreneurship ist für alle wissenschaftlichen Disziplinen relevant“

Alexander Tittel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Entrepreneurship und Technologie-Management des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Für EPICUR arbeitet er als Task Leader des Work Packages „Sustainable Entrepreneurship" (WP 5.2). Im Interview erzählt er, was „Entrepreneurship Education“ ist und wie sie zur Stärkung der Regionen und zur Vernetzung der Partneruniversitäten beitragen kann. Durch das Interview führt Yvonne Cunia (Kommunikationsmanagerin für EPICUR an der BOKU).

EPICUR fördert die Entwicklung von Entrepreneurship/Unternehmertum an Universitäten und macht Studierenden attraktive Angebote, zum Beispiel in Form von Lehrveranstaltungen wie „Sustainable Entrepreneurship“ (SoSe21) oder „Sustainability Challenge“ (WiSe21). Warum ist Entrepreneurship relevant für alle wissenschaftlichen Disziplinen und wie stärkt EPICUR auf diese Weise die Vernetzung der Regionen?
Wir befinden uns derzeit in einer sehr dynamischen Zeit. In einer Zeit der Digitalisierung, des Klimawandels, der Veränderung im Mobilitätsverhalten und vieles mehr. Insbesondere die Corona-Krise hat uns als Gesellschaft unsere Stärken und Schwächen deutlich aufgezeigt. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es Mut, Kreativität und die Fähigkeit nach vorne zu schauen, aber auch die Bereitschaft, für all diese Herausforderungen Verantwortung zu übernehmen, um neue Lösungen zu entwickeln und Menschen zu helfen. Für mich ist Entrepreneurship genau das. Entrepreneurship ist für alle wissenschaftlichen Disziplinen relevant, weil Kreativität, Problemlösungsbereitschaft und die Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft nicht an eine einzige Ausbildung oder eine Studienrichtung gebunden sind. Auch nicht an die Wirtschaftswissenschaften, wo Entrepreneurship meistens angesiedelt ist. Heutige Produkte und Lösungen sind so komplex, dass interdisziplinäre Teams nicht mehr wegzudenken sind. Diese Interdisziplinarität wird in EPICUR von den acht Partneruniversitäten, ihrer strategischen Ausrichtung und internationalen Vernetzung sehr gut abgebildet. Was wir hier also tun – im Gesamtprojekt und im Bereich Entrepreneurship – wir versuchen, die Menschen zusammenzubringen, über die Regionen und Disziplinen hinweg. Wir geben ihnen Raum für das Kennenlernen, für das Vernetzen, für ihre Kreativität und Handlungsbereitschaft und legen damit den Grundstein für eine nachhaltige Zusammenarbeit in diesem europäischen Kontext. Jemand, der das möchte, hat mit EPICUR ein hervorragendes Angebot, um sich zu entfalten. Ein erster Schritt in diese Richtung war das „Annual Forum“.

„Ich würde gerne mein Produkt auf den deutschen Markt bringen. Was muss ich dafür tun, wen muss ich ansprechen?“

Das „Annual Forum“ war das erste große, mehrtägige Event von EPICUR. Im Dezember 2020 richtete das KIT drei virtuelle Tage mit abwechslungsreichen Aktivitäten unter dem Thema „Sustainability & Entrepreneurship“ aus. Es gab eine Paneldiskussion sowie eine virtuelle Start-Up-Tour. Ziel war es, jungen Gründer*innen eine Plattform zur Präsentation und zum Networking zu ermöglichen. Was hat sich daraus entwickelt?
Das Forum war aus meiner Sicht ein großer Erfolg. Wir haben tatsächlich die nachhaltige Vernetzung hinbekommen. Und diese Kontakte und Aktivitäten bestehen seit dem Forum weiterhin. Bei der virtuellen Start-Up-Tour haben junge Unternehmer*innen auf einer virtuellen Bühne ihre Produkte und ihre Geschäftsideen präsentiert. Sie haben sich ausgetauscht und sich kennengelernt. Sie haben aber auch die Frage nach einer frühen Internationalisierung und Vernetzung diskutiert. „Hey, ich würde gerne mein Produkt auf den deutschen Markt bringen. Was muss ich dafür tun, wen kann ich ansprechen?“, hieß es, oder, „Ich habe ein interessantes, spannendes Produkt in Polen. Wie kann ich das nach Frankreich bringen?“. Solche Dinge sind dort besprochen worden. Für die Paneldiskussion haben wir Studierende aus Hochschulgruppen zusammengebracht, die sich mit „Social Entrepreneurship“ und traditionellem Entrepreneurship beschäftigen. Wir haben mit ihnen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit diskutiert, wie man Synergieeffekte nutzen und Best Practices austauschen kann. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, welches ich aktiv pflege, indem ich z.B. auf Veranstaltungen aufmerksam mache und Informationen zielgruppengerecht weiterleite an Studierende, Start-Ups sowie Mentor*innen und andere Stakeholder. Das EPICUR Forum und die einzelnen Veranstaltungen sind übrigens auf YouTube abrufbar.

„Laut EU-Kommission ist Unternehmertum eine von acht Kernkompetenzen von EU-Bürger*innen“

Sie sind wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Entrepreneurship am KIT und veröffentlichen zu Entrepreneurship Education. Was ist „Entrepreneurship Education“ und haben Studierende aller Studienrichtungen einen Mehrwert davon?
Unter „Entrepreneurship Education“ versteht man alle Maßnahmen im Rahmen der akademischen und praktischen Ausbildung an Universitäten, in Inkubatoren oder in Accelerator Programmen. Ziel ist es, Studierende auf ihre Zukunft als Gründer*innen vorzubereiten. Als Entrepreneurship-Lehrende wollen wir Studierende darin befähigen, verantwortungsvolle Unternehmer*innen zu werden. Dazu braucht man gewisse Fähigkeiten, um sich den Herausforderungen zu stellen. Im akademischen Kontext spricht man von so genannten unternehmerischen Kompetenzen. Dazu zählen: Erkennen unternehmerischer Gelegenheiten, Aufstellen eines Geschäftsmodells, Pitching der Geschäftsidee vor Investor*innen. In Entrepreneurship Education Programmen werden folglich diese und andere Kompetenzen durch pädagogische Maßnahmen entwickelt und gefördert. Wir haben dazu einen Artikel geschrieben und uns genau mit der Frage beschäftigt, welche unternehmerischen Kompetenzen wichtig sind und was man eigentlich in Entrepreneurship lehren sollte, um Studierende optimal für ihre künftigen Aktivitäten vorzubereiten.

Ob alle Studienrichtungen davon einen Mehrwert haben, hängt auch davon ab, ob die Universität Lehrveranstaltungen im Bereich Unternehmertum anbietet und wie die Fakultäten Entrepreneurship in ihren Studienordnungen fördern und anerkennen. Aus meiner Sicht sollte der Zugang zu solchen Angeboten für alle möglich sein, die es wollen. Aus diesem Grund haben wir das EPICUR „Entrepreneurial Lab“ so konfiguriert, dass Studierende aller Studienrichtungen daran teilnehmen können. Allerdings – und das ist derzeit noch eine große Herausforderung innerhalb der europäischen Universitäten – ist die ECTS-Anrechenbarkeit nicht gegeben. Zudem ist der Arbeitsaufwand recht hoch. Das bedeutet, dass wir hiermit eine freiwillige Veranstaltung anbieten und somit eine hohe intrinsische Motivation von den Studierenden gefordert ist. Als Anerkennung stellen wir ein EPICUR Zertifikat aus, welches den Studierenden nicht nur die Teilnahme an einem solchen internationalen Programm, sondern auch die unternehmerischen Kompetenzen und die äquivalenten 6 ECTS bescheinigt. Laut EU-Kommission ist unternehmerisches Wissen eine von acht wesentlichen Kompetenzen von EU-Bürger*innen, Sprachen zählen natürlich ebenso dazu, digitale Kompetenzen, aber eben auch unternehmerische Kompetenzen. Und genau das adressieren wir mit unserem Programm.

„Unsere Lehrveranstaltungen sollen Studierende motivieren und ihnen Mut geben“

Alexander, du sprichst von Entrepreneurship. Wie sieht es mit Nachhaltigkeit und Unternehmertum aus? Sind diese beiden Begriffe immer noch ein Widerspruch? Oder gründen junge Studierende auch aus einem Nachhaltigkeitsgedanken heraus, zum Beispiel inspiriert durch „Fridays for Future“ oder andere Bewegungen?
Diese Frage nach Nachhaltigkeit und Unternehmertum – verdiene ich jetzt primär Geld oder will ich die Welt verändern – hat oft einen ideologischen Touch. Ich glaube, dass es in der heutigen Zeit gar nicht mehr anders geht als beide Aspekte – ausreichende Profitabilität und Nachhaltigkeit – in modernen Geschäftsmodellen zu berücksichtigen und zu verankern. Es ist aus meiner Sicht nicht eine Frage des Schwerpunkts, sondern der Balance. Es gibt ja auch „Social Entrepreneurship“, die beschäftigen sich sehr stark mit sozialen und nachhaltigen Aspekten. Und auch da werden Start-Ups gegründet, die überlebensfähig sind. Ich habe am Anfang über Verantwortung gesprochen. Verantwortung zu übernehmen, finde ich ganz wichtig. Du kannst heute nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt laufen. Als junger Mensch bist du Teil dieser Gesellschaft und wirst durch die Ausbildung im Bereich Unternehmertum in die Lage versetzt, Verantwortung zu übernehmen. Dann musst du den Mut haben, die Dinge anzugehen, sie zu verändern und nicht wegzuschauen. Es geht um unsere Zukunft und um die Umwelt, in der wir leben. Dort müssen wir Dinge verändern und nicht darauf warten, dass irgendwer das für uns tut oder eben nicht tut. Darum geht es in der heutigen Zeit; sowohl wirtschaftlich nachhaltig zu sein als auch unter Berücksichtigung der globalen Probleme zu arbeiten. Wie ich das angehe – das liegt mir wirklich am Herzen – ist, ich lasse die Studierenden in solchen Lehrveranstaltungen nicht einfach Geschäftsideen entwickeln. Sondern ich gehe da über den Prozess der unternehmerischen Gelegenheitsentwicklung auf Grundlage von Problemfeldern. Die nehme ich aus den SDGs und dem „European Green Deal Framework“. Das sind genau die globalen Probleme, die von den Vereinten Nationen für die Menschheit formuliert wurden. Es sind 17 Ziele – 17 Sustainable Development Goals – und da lasse ich die Studierenden eintauchen und sie nach Problemfeldern suchen, mit denen sie eine persönliche Resonanz haben. Da geht es um die Abstimmung zwischen der Person, ihren Werten und Kompetenzen. Unsere Lehrveranstaltungen sollen Studierende motivieren und ihnen Mut geben. Außerdem sie befähigen, sich selbst die Frage zu beantworten, was zu ihnen passt und welchen Weg sie beruflich gehen wollen.

Gib uns einen Ausblick in das Jahr 2021. Was plant EPICUR zu nachhaltigem Unternehmertum für den Rest des Jahres?
Wir organisieren derzeit Praktika in Start-ups an mehreren EPICUR Standorten. Außerdem wird im Wintersemester 2021 das „Entrepreneurial Lab“ stattfinden. Es handelt sich dabei um eine internationale EPICUR Lehrveranstaltung, für die wir Gründer*innen, die beim Forum aufgetreten sind, als Mentor*innen rekrutieren. Sie werden Studierende begleiten, sie in ihren Projekten unterstützen und beraten. Wir arbeiten zudem an einer virtuellen Karte, auf der die Stakeholder erfasst sind, sodass man sich noch besser vernetzen und zusammenarbeiten kann. Es handelt sich um eine visuelle Darstellung, auf der Interessent*innen sehen können, welche Netzwerktreffen zum Thema Entrepreneurship stattfinden, welche innovativen Projekte gerade aufgebaut werden und wer die Ansprechpartner*innen dafür sind. Investor*innen können Start-Ups finden. Lehrende können nach Veranstaltungen suchen, um dort ihr Wissen weiterzugeben und so weiter. Es gibt viele spannende Use Cases, an denen wir derzeit arbeiten. Sicher werden viele weitere Aktivitäten folgen.

Zum Abschluss: Was war deine Motivation, bei EPICUR mitzumachen?
Ich bin da hineingerutscht. Das ist ja oft so bei solchen Projekten. Nachdem ich verstanden habe, worum es geht und welches Potential da ist, ist meine Motivation, jungen Menschen durch Bildung das Handwerkszeug zu geben und sie darin zu befähigen, konstruktive Gestalter*innen unserer Gesellschaft zu sein. EPICUR ist ja eine tolle Bühne, es ist keine KIT- oder BOKU-Veranstaltung. Es ist eine internationale Bühne mit der Möglichkeit, einen wirklich breiten Horizont zu entwickeln, viele Menschen zu erreichen und gemeinsam viele tolle Möglichkeiten und Ideen zu realisieren.

Vielen Dank für deine Zeit!

 

Kontakt, A. Tittel (Entrepreneurial Education, Entrepreneurship bei EPICUR, WP 5.2): alexander.tittel@kit.edu