Post-Corona Konjunkturpakete: Klima- und Umweltziele ins Zentrum stellen


Die Corona-Krise hat massive Auswirkungen auf Wirtschaft und Umwelt. In der Zeit danach wird sich entscheiden, ob auch Klima- und Umweltkrise bewältigt werden können. Eine unter Leitung des Instituts für Soziale Ökologie der BOKU Wien entstandene Meta-Analyse kann für Post-Corona-Programme wichtige Anregungen geben. In zwei Artikeln, die im Fachjournal „Environmental Research Letters“ erschienen sind, wird der aktuelle Stand der Forschung zu den Zusammenhängen von wirtschaftlicher Entwicklung, Konsum, Umweltproblemen und Klimakrise bewertet.

Überblick zu Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Emissionen
Ist wirtschaftliches Wachstum mit Umwelt- und Klimaschutz vereinbar? Welchen Beitrag können Effizienzsteigerung und Innovation leisten? Wie sollten Wirtschafts-, Klima- und Umweltpolitik weiter vorgehen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens oder die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) zu erreichen? Antworten auf diese Fragen bietet eine neue Studie des Instituts für soziale Ökologie der BOKU Wien, die soeben in zwei Artikeln in den Environmental Research Letters veröffentlicht wurden. Mit Hilfe von systematischen Literaturanalysen kann der aktuelle Forschungsstand zusammengeführt und damit fundierte Einsichten abgeleitet werden. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Helmut Haberl und Dominik Wiedenhofer wertete rund 11.000 Artikel aus, die den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen untersuchten.

Aus den relevanten empirische Studien (835 der 11.000 Artikel) wurden die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum (BIP), Ressourcenverbrauch (Materialien und Energie) und Treibhausgasemissionen (THG) abgeleitet.

Entkopplung von Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Emissionen
Strategien zur Erreichung ehrgeiziger Klimaziele beruhen in der Regel auf dem Konzept der "Entkopplung", d.h. sie zielen auf die Förderung des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Verringerung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen und der Treibhausgasemissionen ab. Ein BIP-Wachstum, das mit einer absoluten Verringerung der Emissionen oder der Ressourcennutzung zusammenfällt, wird als "absolute Entkopplung" bezeichnet. Bei der "relativen Entkopplung", nehmen Ressourcennutzung oder Emissionen weniger stark zu als das BIP.

Die Untersuchung der empirischen Studien ergab, dass eine relative Entkopplung häufig bei der Materialnutzung sowie bei den Emissionen gefunden wurde, nicht aber bei der Verfügbarkeit von nutzbringender Energie (Exergie). Außerdem zeigte sich, dass Ressourcenverbrauch und Emissionen tendenziell nur während großer Krisen oder auch in Phasen niedrigen Wirtschaftswachstum absolut sinken. Weiters zeigt sich, dass dank internationalem Handel Ressourcenverbrauch und Emissionen oft in fernen Ländern stattfinden, die Güter und Dienstleistungen aber schlussendlich oft in wohlhabenden Ländern konsumiert werden. Absolute langfristige Entkopplung sind selten, jedoch finden sich in jüngster Zeit einige wohlhabende Industrieländer, vor allem in Europa, wo absolute Entkoppelungen von CO2-Emissionen und BIP sowohl national als auch unter Einbeziehung von internationalem Handel zu beobachten sind. Von einer Senkung der CO2-Emissionen auf null, wie sie für 1.5-2.0° Ziele nötig ist, sind aber auch diese Länder noch sehr weit entfernt.

Politische Strategien zur Erreichung von Klima- und Umweltzielen
Die Studie kommt zum Schluss, dass langfristig notwendige absolute Reduktionen des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen nicht durch bisher beobachtete Entkopplungsraten erreicht werden können. Politische Strategien dürfen daher nicht einfach nur auf Effizienz und Innovation setzen, um Umwelt- und Klimakrise zu bewältigen. Zusätzlich braucht es die strikte Umsetzung von absoluten Reduktionszielen und die Priorisierung von Gesundheit, Wohlbefinden und Klimaschutz über Wachstum um jeden Preis.

Nur sehr wenige Fallanalysen beschreiben eine echte Entkopplung, d.h. eine Reduktion der Emissionen bei gleichzeitiger Steigerung der Wirtschaftsleistung, und zwar auch für europäische Länder, die stark in erneuerbare Energien investieren. "Massive öffentliche Investitionen in klimaneutrale Infrastrukturen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Entkopplung", sagt Helmut Haberl. "Dies ist auch relevant, wenn es darum geht, nach dem Ende der Corona Pandemie Konjunkturpakete zu schnüren und gleichzeitig nachhaltigere wirtschaftliche Aktivitäten zu etablieren".

„Wichtig ist es endlich Kostenwahrheit zu schaffen, etwa durch einen CO2-Preis, damit sich sauberes Wirtschaften auszahlt und klimaschädliche Industrien den wahren Preis ihrer Aktivitäten bezahlen“, sagt Dominik Wiedenhofer „und gezieltes Herunterfahren umweltschädlicher Aktivitäten - zum Beispiel Braunkohletagebau - und die unverhältnismäßige politische Unterstützung des Flugverkehrs oder der Automobil-Industrie.“

Artikel:
Wiedenhofer, Dominik, Doris Virág, Gerald Kalt, Barbara Plank, Jan Streeck, Melanie Pichler, Andreas Mayer, Fridolin Krausmann, Paul Brockway, Anke Schaffartzik, Tomer Fishman, Daniel Hausknost, Bartholomäus Leon-Gruchalski, Tânia Sousa, Felix Creutzig, Helmut Haberl, 2020. A systematic review of the evidence on decoupling of economic growth, resource use and GHG emissions, part I: bibliometric and conceptual mapping. Environmental Research Letters,
doi.org/10.1088/1748-9326/ab8429
Haberl, Helmut, Dominik Wiedenhofer, Doris Virág, Gerald Kalt, BarbaraPlank, Paul Brockway, Tomer Fishman, Daniel Hausknost, Fridolin Krausmann, Bartholomäus Leon-Gruchalski, Andreas Mayer, Melanie Pichler, Anke Schaffartzik, Tânia Sousa, Jan Streeck, Felix Creutzig, 2020. A systematic review of the evidence on decoupling of economic growth, resource use and GHG emissions, part II: synthesizing the insights. Environmental Research Letters, doi.org/10.1088/1748-9326/ab842a

Kontakt/Rückfragen:
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Soziale Ökologie
helmut.haberl(at)boku.ac.at
dominik.wiedenhofer(at)boku.ac.at


18.05.2020