Ein internationales Forschungsteam mit BOKU-Beteiligung hat Gründe herausgearbeitet, warum wir Biodiversität im Süßwasser zwingend brauchen.

Kürzlich wurde auf der Weltnaturschutzkonferenz (CBD COP 15) deutlich gemacht, wie wichtig der Schutz der Biodiversität für uns Menschen ist. Ein Ziel ist laut Abschlusserklärung – dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework – die „Funktionen und Leistungen von Ökosystemen“ zu erhalten und wiederherzustellen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des United States Geological Survey (USGS) Climate Adaptation Science Centers und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat herausgearbeitet, welche Ökosystemleistungen von der Biodiversität im Süßwasser abhängen. Eine Forscherin der BOKU war Teil des interdisziplinären Teams, das eine weltweite Übersicht - ohne Anspruch auf Vollständigkeit- erstellt hat.

Tier- und Pflanzenarten im Süßwasser sind besonders gefährdet: Populationen von Wirbeltierarten, die in Flüssen, Seen und Feuchtgebieten leben, schrumpfen beispielsweise doppelt so schnell wie solche im Meer und an Land. Und laut der 2022 aktualisierten Roten Liste der Arten der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) ist ein Drittel der Süßwasser-Tierarten vom Aussterben bedroht: rund 59 Prozent der Schildkröten, 20 Prozent der Fische, 37 Prozent der Säugetiere und 30 Prozent der Amphibien.

Das Artensterben steht auch im Zusammenhang mit schwindenden Lebensräumen: Feuchtgebiete sind weltweit zwischen 1970 und 2015 um ein Drittel geschrumpft; ein Rückgang, der dreimal so hoch ist wie der Verlust an Waldflächen. Nur noch ein Drittel aller großen Flüsse kann ungehindert, also ohne Barrieren wie Dämme oder andere Hindernisse, ins Meer fließen.

Der Mensch ist auf biologisch vielfältige Gewässer angewiesen

Studienleiterin Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin am IGB und Professorin an der Humboldt Universität zu Berlin hat mit einem großen internationalen Team aus Forschenden und Vertreter*innen aus dem Naturschutz in der Fachzeitschrift WIREs Water die wichtigsten Funktionen und Leistungen zusammengestellt, die von der biologischen Vielfalt in Binnengewässern abhängig sind. Dem Rahmenwerk des Weltbiodiversitätsrats IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services - Analog zum IPCC für die Natur) folgend, unterscheiden die Autor*innen materielle, nicht materielle und regulierende Ökosystemleistungen der Biodiversität. Jeder Gruppe ordnen sie jeweils drei wichtige Funktionen oder Leistungen unter und nennen wissenschaftlich fundierte Beispiele.

An der BOKU hat Assistenzprofessorin Rafaela Schinegger, die eine Laufbahnstelle zu „Naturschutzplanung und Umweltvorsorge“ am Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung innehat, an der Studie mitgewirkt und Funktionen und Leistungen aquatischer Ökosysteme gemeinsam mit ihren internationalen KollegInnen zusammengestellt und diskutiert. Für Schinegger ist in diesem Kontext besonders interessant, wie aquatische und terrestrische Ökosysteme und deren Leistungen zusammenhängen und was dies für die zukünftige Naturschutzplanung bedeutet. Vor Allem auch, wie die Erkenntnisse dieser Studie in der Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 münden können.

Hier eine Zusammenfassung der laut Studie 9 wichtigen Ökosystemleistungen von Gewässern, auf die wir nicht verzichten können:

1 Nahrung: Obwohl wir bei Nahrung aus dem Wasser zuerst an Fische denken, ist die Bandbreite tatsächlich groß und reicht von Tieren über Pflanzen bis hin zu Mikroorganismen.

2 Andere tierische und pflanzliche Produkte: Aus Rohstoffen aus dem Süßwasser werden Gebrauchs- und Ziergegenstände hergestellt, etwa Kleidung aus Fischleder, Nagelfeilen aus Fischschuppen und Scheren aus Piranhazähnen. Wasserpflanzen dienen als Baumaterial und Werkstoff für Möbel.

3 Gesundheit und genetische Ressourcen: Algen, Wasserpflanzen und tierische Produkte – von Kollagenen aus Fischen bis hin zu Sekretionsprodukten von Froschhaut – finden in Medizin und Pharmakologie Anwendung.

4 Freizeitwert Erholung: Freizeitaktivitäten, die durch die biologische Vielfalt im Süßwasser ermöglicht werden, gelten als kulturelle Dienstleistungen. Schwimmen und Bootfahren finden vor allem dort statt, wo die Wasserqualität durch sensorische Erfahrungen wie Geruch und Sicht als gut eingeschätzt wird. Die Wasserqualität steht in direktem Zusammenhang mit den Lebewesen im Gewässer, die beispielsweise Algenblüten verhindern können.

5 Bedeutung für Kultur, Religion und Spiritualität: Fast alle Kulturen an großen Seen oder Flüssen haben Rituale und Traditionen, die mit den dortigen Lebewesen verknüpft sind.

6 Möglichkeiten für Bildung und technischen Fortschritt: Von formalen Lehrplänen in Grundschulen bis hin zu gezielten außerschulischen Aktivitäten für Jugendliche – all dies trägt dazu bei, Verbindungen zu schaffen und ein lebenslanges Engagement für den Schutz von Süßwasser und den verantwortungsvollen Umgang damit zu fördern.

7 Klimaregulation: Süßwasserökosysteme sind von entscheidender Bedeutung für die Speicherung und Bindung von Kohlenstoff und Methan.

8 Wasserhaushalt in der Landschaft: Ufer- und Wasserpflanzen verringern die Wassergeschwindigkeit, verbessern die Uferstabilität, halten Sedimente zurück und filtern Nähr- und Schadstoffe.

9 Selbstreinigung des Wassers und Stoffkreisläufe: Milliarden von Mikroorganismen, Pflanzen, Algen und Tieren reinigen das Wasser, indem sie überschüssige Nährstoffe, Krankheitserreger und Schadstoffe filtern. Das ist u.a. für die Trinkwassergewinnung von entscheidender Bedeutung.

„Süßgewässer wurden bislang vor allem als wichtige Ressource verwaltet und nicht als DER besondere und empfindliche Lebensraum für eine außergewöhnliche Vielzahl von Organismen, die all diese Leistungen erbringen. Politik und Behörden können den Biodiversitätsschutz stärker ins Gewässermanagement integrieren“, resümiert die Erstautorin der Studie Abigail Lynch vom United States Geological Survey (USGS) Climate Adaptation Science Centers.

Link zur Publikation: https://wires.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/wat2.1633

Diese Meldung basiert auf einer Pressemeldung des IGB Berlin zur Publikation.


07.02.2023