Wichtige Potenziale unausgeschöpft: Neue Studie zeigt Lücken in Österreichs Klimapolitik


Im Bereich Verkehr und Wohnen zielen nur wenige Maßnahmen auf direkte Vermeidung von Emissionen ab. Ein Forschungsteam der Universität Wien und der BOKU University hat die Entwicklung klimapolitischer Maßnahmen im Bereich Verkehr und Wohnen in Österreich zwischen 1995 und 2024 untersucht.

Das Ergebnis: Die Klimapolitik setzt fast ausschließlich auf Effizienzsteigerungen und technologische Alternativen. Maßnahmen mit dem Ziel, die emissionsintensive Nachfrage direkt zu vermeiden, bleiben weitgehend ungenutzt. Damit wird ein zentrales Potenzial zur Senkung von Treibhausgasemissionen nicht ausgeschöpft. Die Studie wurde im Rahmen des Projekts FOCAL-points vom Austrian Climate Research Panel (ACRP) gefördert und erscheint aktuell in Communications Earth & Environment. 

Die Forschenden um Alina Brad und Etienne Schneider von der Universität Wien ordneten erstmals bestehende Klimapolitiken in Österreich systematisch in das „Avoid-Shift-Improve“-Modell ein, also nach den Kategorien Vermeiden-Verlagern-Verbessern. Analysiert wurden 356 Maßnahmen in den Bereichen Verkehr und Wohnen, die an der Nachfrage von Haushalten ansetzen. Die Forscher*innen berücksichtigten sowohl Maßnahmen auf EU-Ebene als auch auf Bundes- und Länderebene in Wien und Niederösterreich. Dabei zeigte sich: 61 Prozent der Maßnahmen förderten eine Verlagerung (shift), etwa vom Auto zum öffentlichen Verkehr. 34 Prozent zielten auf Effizienzsteigerungen (improve), etwa durch Sanierungen oder Anreize, Autos mit effizienteren Verbrennungsmotoren zu fahren. Nur 5 Prozent setzen auf Vermeidung (avoid) – also darauf, unnötige Mobilität oder übermäßige Wohnraumnutzung zu reduzieren.

„Gerade im Verkehr sehen wir, dass Emissionen seit 1995 kaum gesunken sind. Besonders wohlhabende Haushalte verursachen überdurchschnittlich hohe Emissionen durch Flugreisen. Hier könnten Vermeidungsmaßnahmen wie Abgaben auf Vielfliegen oder Verbote von Kurzstrecken- und Privatjetflügen große Wirkung entfalten“, erklärt Studienautorin Alina Brad vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Die Veränderung der Nachfrage von Haushalten sei ein wichtiger, aber bislang zu wenig genutzter Hebel in der Klimapolitik. Damit ist aber nicht gemeint, dass die Haushalte allein die Verantwortung tragen. Vielmehr geht es darum, dass Klimapolitik die Voraussetzungen für ein klimafreundliches, emissionsarmes und gutes Leben schafft. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung ist, dass nachfrageseitiger Klimaschutz als fair wahrgenommen wird – und jene Haushalte stärker in die Pflicht nimmt, die auch mehr Emissionen verursachen. 

Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Klimapolitik bislang stark auf Förderungen setze, die eher Haushalten zugutekommen, die sich Investitionen wie ein Elektroauto oder eine neue Heizung leisten könne. Damit laufen wir Gefahr, soziale Ungleichheiten zu verschärfen. Simone Gingrich von der BOKU University: „Der Konsum privater Haushalte ist mehr als die Summe individueller Kaufentscheidungen: Politik gestaltet mit, wer was konsumiert und welche Treibhausgasemissionen dadurch verursacht werden.“

Ohne diese Erweiterung droht die Klimapolitik wichtige Einsparpotenziale zu verschenken – und die Abhängigkeit von riskanten CO₂-Entnahmetechnologien weiter zu verfestigen.

„Unsere Analyse zeigt: Österreich setzt stark auf Effizienz und technologische Alternativen. Doch ohne echte Vermeidungsmaßnahmen bleiben zentrale Klimaziele außer Reichweite“, so die Autor*innen abschließend.

Originalpublikation: Existing demand-side climate change mitigation policies neglect avoid options
Alina Brad, Etienne Schneider, Christian Dorninger, Willi Haas, Carolin Hirt, Dominik Wiedenhofer, Simone Gingrich
Communications Earth & Environment 2025

DOI:  10.1038/s43247-025-02800-5


Wissenschaftlicher Kontakt:

Univ.Prof.in Mag.a Dr.in Simone Gingrich 
BOKU University
Institut für Soziale Ökologie
Email: simone.gingrich(at)boku.ac.at
Telefon: +43 1 47654-73724


15.10.2025