Diplomarbeit:
Höttinger H. (1993): Tagfalter (Lepidoptera: Rhopalocera und Hesperiidae) in der Agrarlandschaft des Marchfeldes (Niederösterreich) - Bioindikatoren als Instrument der Landschaftsplanung. – Diplomarbeit am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur, Wien. 228 S. Unveröffentlicht. Zusammenfassung der Diplomarbeit
Das Ziel der Arbeit bestand in der Erfassung und Bewertung der Tagschmetterlingsfauna in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft (Marchfeld in Niederösterreich). Dabei interessierten weniger die landwirtschaftlich genutzten Flächen, als vielmehr die noch vorhandenen „Saum- und Kleinbiotope" (insbesondere Feldwege und ihre Randbereiche, Brach- und Ruderalflächen, Böschungen, Windschutzstreifen, Wiesenreste etc.) und ihre Bedeutung für Tagfalter. Mittels Transektmethode wurden 17 Probeflächen in der Agrarlandschaft („offenes“ Marchfeld) und eine Vergleichsfläche in der Au (Auwiese) untersucht. Von den Transektstrecken im Marchfeld waren 2 „flächige" Strukturen (eine Ruderalfläche und ein Teil einer Glatthaferwiese), 3 Feldwege mit breiten Säumen (mit oder ohne Gehölze), 5 Graswege, 5 Erdwege (ohne bzw. mit schmalen Säumen / oder Gehölzen) sowie 2 Schottergrubenböschungen. Pflanzensoziologische und blütenbiologische Aufnahmen sollten die Interpretation der gewonnenen Daten erleichtern. Von 1989 - 1991 wurden insgesamt 46 Arten (39 in der Au, 29 im Marchfeld) registriert. Im Haupt-Untersuchungsjahr 1991 wurden 38 Arten mit 8285 Individuen beobachtet (auf der Auwiese 29 Arten, im „offenen" Marchfeld 26 Arten). Die betrachteten Landschaftsstrukturen zeigten ausgeprägte Unterschiede in der Besiedelung durch Tagfalter. Es konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen Artenzahl und Flächengröße der Transektstrecken nachgewiesen werden. Die höchsten Artenzahlen wiesen im Mittel „flächige" Lebensräume (22 Arten), gefolgt von den 2 Schottergrubenböschungen (20,5 Arten) und Wegen mit breiten Säumen (17 Arten) auf. Ein deutlicher Abfall war bei Graswegen (11 Arten) und insbesondere Erdwegen (durchschnittlich unter 10 Arten) festzustellen. Die bei weitem höchsten Abundanzen (Mittelwerte) wurden auf den Schottergrubenböschungen registriert. Zwischen „flächigen" Lebensräumen und Wegen mit breiten Säumen sind die Unterschiede nicht sehr hoch. Auch bei den Abundanzen zeigt sich, wie schon bei den Artenzahlen, ein deutlicher Abfall der Graswege und insbesondere der Erdwege. Bei der Einordnung der Arten in ökologische Gruppen (Falterformationen) ergab sich, dass die 17 Arten mit den höchsten Stetigkeiten auf den 18 Transektstrecken ausschließlich zu den Ubiquisten und mesophilen Offenlandarten gehörten. In der Regel waren dies r - Strategen, insbesondere relativ mobile Wanderfalter. Dementsprechend gering war auch die Artenzahl (bzw. Individuenzahl) gefährdeter Arten. Die mesophilen Offenlandarten stellen insgesamt fast 40% der Arten (54% aller Individuen), gefolgt von den Ubiquisten mit 21% aller Arten (39% aller Individuen), wobei im Marchfeld die mesophilen Offenlandarten und Ubiquisten mehr als 99% aller Individuen ausmachen. Die restlichen ökologischen Gruppen (Wald-Offenland-Arten, mesophile Waldarten, xerothermophile Offenlandarten, xerothermophile Gehölzbewohner, Hygrophile, Tyrphophile) spielen, insbesondere bei Betrachtung der Individuenzahlen, nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl auch auf der Auwiese die mesophilen Offenlandarten überwiegen, treten dort die Ubiquisten zugunsten der Wald-Offenland-Arten und Hygrophilen zurück, was sich insbesondere auch in der Dominanzverteilung bemerkbar macht. Während auf der Auwiese Maniola jurtina, Clossiana dia, Coenonympha glycerion und Melanargia galathea dominierten, waren es in der „offenen" Agrarlandschaft Coenonympha pamphilus, Artogeia rapae, Melanargia galathea, Artogeia napi und Vanessa cardui. Die höchsten Artenidentitäten weisen die beiden Schottergrubenböschungen, die grasreiche Ruderalfläche und Glatthaferwiese sowie Wege mit breiten Säumen untereinander auf. Ebenfalls hoch waren die Werte beim Vergleich der Schottergrubenböschungen mit „flächigen" Strukturen bzw. Wegen mit breiten Säumen. Hohe Dominanzidentitäten (meist über 50%) weisen folgende Strukturen auf: Wege mit breiten Säumen und Graswege, Wege mit breiten Säumen und Erdwege (unerwartetes Ergebnis) sowie Graswege und Schottergrubenböschungen. Niedrige Dominanzidentitäten zeigen die flächigen Strukturen (ohne Auwiese) und Erdwege sowie Schottergrubenböschungen und Erdwege. Eine positive Korrelation von Pflanzenartenzahl und Flächengröße der Transektstrecken konnte nachgewiesen werden, wobei hohe Pflanzenartenzahlen die Auwiese, Wege mit breiten Säumen und die Ruderalfläche aufwiesen. Niedrige Pflanzenartenzahlen (meist unter 30) wurden auf Graswegen und insbesondere Erdwegen festgestellt. Eine deutliche positive Korrelation zeigte sich auch zwischen der Pflanzenartenzahl und der Artenzahl der Tagfalter auf den 18 Transektstrecken. Die Einbeziehung der pflanzensoziologischen und blütenbiologischen Aufnahmen (zusätzlich zu beobachteten Kopulationen, Eiablagen und Raupenfunden) ermöglichte eine Beurteilung der potentiellen Entwicklungsmöglichkeit („Bodenständigkeit") der Arten auf den einzelnen Transektstrecken. Auf den untersuchten Probeflächen im Marchfeld können sich von den 26 im Jahr 1991 beobachteten Arten sieben mit Sicherheit auch entwickeln (Artogeia napi, Artogeia rapae, Maniola jurtina, Melanargia galathea, Vanessa cardui, Pontia daplidice, Colias crocea), höchstwahrscheinlich auch noch die meisten anderen Arten (bis auf wenige Ausnahmen), z.B. Coenonympha pamphilus, Thymelicus lineola, Polyommatus icarus. Bei den Transektbegehungen 1991 konnten in der Agrarlandschaft des Marchfeldes (ohne Auwiese) an 40 Pflanzenarten 2.934 Blütenbesuche von 23 Tagfalterarten beobachtet werden. Unter Einbeziehung der Auwiese wurden an 52 Pflanzenarten 3.077 Blütenbesuche (das entspricht 37,1% aller Individuen) von 28 Tagfalterarten (73,7% aller Arten) registriert. Insgesamt betrachtet wurden an Carduus acanthoides 44,8% aller Blütenbesucher beobachtet. Dies war mit Abstand die am häufigsten besuchte Blütenpflanze. Es folgen Salvia nemorosa mit 9,3%, Centaurea scabiosa mit 9,2% und Cirsium arvense mit 6,7% aller Blütenbesuche. Weitere häufig besuchte und in der Agrarlandschaft wichtige Blütenpflanzen sind Ballota nigra, Centaurea stoebe, Scabiosa ochroleuca, Echium vulgare, Salvia pratensis und Cirsium vulgare. Alle anderen 30 genutzten Blütenpflanzen wurden jeweils von weniger als 40 Individuen besucht. Im offenen Marchfeld wurden folgende Tagfalterarten am häufigsten beim Blütenbesuch beobachtet: Vanessa cardui und Aglais urticae (hauptsächlich auf Carduus acanthoides), Artogeia rapae, Artogeia napi, Coenonympha pamphilus und Thymelicus lineola. Die ersten drei wurden ihrer Einordnung als Ubiquisten also voll gerecht, die letzten drei (alle mesophile Offenlandarten), insbesondere Coenonympha pamphilus und Thymelicus lineola sind als gute Indikatoren für nicht zu stark intensivierte, grasige, blütenreiche Bereiche in der Agrarlandschaft anzusehen. Beim Blütenbesuch zeigten sich ausgeprägte Unterschiede auf den einzelnen Transektstrecken. Erdwege sind, was das Angebot an Nektarpflanzen betrifft, nahezu bedeutungslos. Dementsprechend gering fällt auch der Blütenbesuch (und auch die Artenzahl besuchter Pflanzen) von Tagfaltern aus (einzelne Arten mit sehr wenigen Individuen). Bei zunehmender Saumbreite auf Erdwegen steigt der Anteil der Blütenbesucher und die Anzahl besuchter Pflanzen deutlich an! Graswege sind etwas besser einzustufen: Auch wenn die Anzahl besuchter Blütenpflanzen gering ist (unter 5), werden diese von deutlich mehr Individuen besucht, wobei deren Anteil aber zwischen 10 und 46% schwankt. Wege mit breiten Säumen übertreffen die flächigen Strukturen in ihrer Bedeutung als Nektarhabitat für Tagfalter deutlich! Hier ist sowohl der hohe Anteil an Arten, insbesondere aber der hohe Individuenanteil der Blütenbesucher auffallend. Die Auwiese weist im Vergleich zu den übrigen Transektstrecken im offenen Marchfeld ein auffallend unterschiedliches Blütenbesuchsverhalten der Tagfalter auf. Auf der Auwiese konnten im Verhältnis zum Blütenreichtum nur relativ wenige Individuen beim Blütenbesuch beobachtet werden (12%). Dieser Wert wurde nur von „Erdwegen" in der Agrarlandschaft deutlich unterboten. Als eifrigste Blütenbesucher auf der Auwiese erwiesen sich Clossiana dia, Maniola jurtina und Artogeia rapae. Die am meisten genutzten Blütenpflanzen waren Stachys germanica, Origanum vulgare und Leontodon hispidus. Auffällig ist der Anteil von 59% aller Arten, die beim Blütenbesuch registriert wurden. Zudem ist die Anzahl der besuchten Blütenpflanzen mit 18 recht hoch. So viele besuchte Blütenpflanzen wurden in der Agrarlandschaft, in der Regel mangels solcher, nicht festgestellt. Zusammenfassend lässt sich zum Blütenbesuch sagen, dass das Angebot an Blütenpflanzen auf der jeweiligen Transektstrecke eindeutig das Blütenbesuchsverhalten der Tagfalter bestimmt. Je mehr Blütenpflanzen vorhanden sind, desto mehr Tagfalter (Arten bzw. Individuen) besuchen diese in der Regel auch („Konzentrationseffekt“). Abschließend wird im Rahmen dieser Diplomarbeit nach der Darstellung der Zielkonflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz und den Gründen für den Rückgang von Tagfaltern die Bedeutung der untersuchten Landschaftselemente (insbesondere Feldwege und ihre Säume sowie Ruderalflächen und Grünland) für Tagfalter in Agrarlandschaften diskutiert. Darauf aufbauend wird ein umfassendes Konzept für den Naturschutz in Agrarlandschaften, welches insbesondere auf dem Biotopverbund und der Extensivierung bzw. Flächenstilllegung fußt, vorgestellt.