04.04.2018 - Gebirgspflanzen reagieren auf Klimawandel
Schneller, höher, mehr:
Gebirgspflanzen Europas beschleunigen ihr Ausbreitungstempo
Bergpflanzen reagieren auf den Klimawandel – sie sind Indikatoren für die ökologischen Auswirkungen der zunehmenden vom Menschen verursachten Erwärmung. Zu diesem Schluss kommen ÖkologInnen aus 11 Ländern, darunter ForscherInnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), der Universität Wien und der Universität Innsbruck. Markantestes Ergebnis ihrer soeben im Wissenschaftsmagazin „Nature“ erschienenen Studie: Arten tieferer Lagen erobern die Gipfel immer schneller – und dieser Trend verläuft auffällig synchron mit dem Anstieg der Temperaturkurve während der letzten Dekaden. Einzigartiger Datenvergleich
Das ForscherInnenteam unter Leitung von Sonja Wipf (Eidgenössisches Institut für Wald, Schnee und Landschaft) und Manuel Steinbauer (Universität Erlangen-Nürnberg) hat in Archiven bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Listen von Pflanzenarten auf alpinen Gipfeln recherchiert. Ein Teil dieser Gipfel wurden in den letzten zwei Jahrhunderten mehrmals untersucht, die meisten vom AutorInnenteam selbst zumindest ein zweites Mal erhoben. Diese langen Zeitreihen der Vegetationsentwicklung wurden mit jüngeren Datensätzen des im Jahr 2000 initiierten weltweiten Monitoringprogramms GLORIA (koordiniert an der BOKU und ÖAW) ergänzt. „Die Kombination dieser Daten lieferte einen weltweit einzigartigen Datensatz, der die Gegenüberstellung der alpinen Vegetationsentwicklung in Zeiträumen mit geringer und mit starker Klimaänderung ermöglicht“, betont Harald Pauli (ÖAW) die Bedeutung der Studie. Faktor Klimawandel
Die Verschiebung der Verbreitungsgrenzen alpiner Pflanzen- und Tierarten in höhere Lagen wurde bislang in mehreren Untersuchungen festgestellt. Diese Studie zeigt jetzt erstmals und europaweit die Beschleunigung dieser Dynamik, die sich in einer immer stärkeren Zunahme der Artenzahlen in allen neun Untersuchungsregionen (Spitzbergen, Nordskandinavien, Südskandinavien, Schottland, Hohe Tatra, Ost-/Süd-Karpaten, Ostalpen, Westalpen, Pyrenäen) manifestiert. Während im Zeitraum 1957-1966 im Schnitt nur eine neue Art pro Gipfel beobachtet wurde, waren es zwischen 2007 und 2016 über fünf Arten. Die Neubesiedlungsrate verlief dabei auffällig parallel zur Temperaturzunahme der letzten Jahrzehnte: „Das weist auf die Klimaerwärmung als treibenden Faktor hin, was auch durch den überdurchschnittlichen Anteil wärmeliebender Arten unter den Neuankömmlingen bestätigt wird“, so Manuela Winkler (BOKU). Änderungen in den Niederschlagsmengen und der anthropogenen Stickstoffdeposition könnten regional auch von Bedeutung sein, zeigen aber europaweit keine klare Korrelation mit dem Anstieg der Artenzahlen auf den Berggipfeln. „Gipfelflächen sind großteils sehr naturnahe Ökosysteme, daher ist menschliche Landnutzung für diesen beschleunigten Prozess kaum verantwortlich zu machen“ bekräftigt Brigitta Erschbamer (Uni Innsbruck). Biodiversitätsverlust wahrscheinlich
Die über sehr unterschiedliche Klimazonen hinweg konsistenten Ergebnisse sind ein starker Hinweis auf großflächige Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels auf terrestrische Ökosysteme und die Artenzusammensetzung der naturnahen Biosphäre. „Wir sehen dabei die Nettozunahme der Artenzahl als Übergangsphase, die letztendlich zum Verschwinden vieler genuin alpiner Arten von den Berggipfeln führen dürfte“ befürchtet Stefan Dullinger (Uni Wien). Die Langlebigkeit vieler Arten und ihre Toleranz gegenüber Klimaschwankungen wirken zwar als Puffer gegen lokale Aussterbeprozesse - die zuletzt stark beschleunigte Artenverschiebung erhöht aber das Risiko von Biodiversitätsverlusten, speziell wenn ‚Kipppunkte‘ erreicht werden, etwa durch das Vordringen der Strauch- und Baumgrenzen. Publikation in "Nature": Climate warming accelerates the increase in plant species richness on European mountain summits. DOI: 10.1038/s41586-018-0005-6 Foto-Download: http://www.gloria.ac.at/downloads/press_info Kontakt / Rückfragen:
Priv.-Doz. Mag. Dr. Manuela Winkler
GLORIA-Koordination
(BOKU Wien, Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit
und ÖAW, Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung)
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manuela.winkler@boku.ac.at