26.11.2018 - Gibt es ein neues Baumsterben in Mitteleuropa?
Eine soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications publizierte Studie dokumentiert die in den letzten 30 Jahren stark steigende Baummortalität in Mitteleuropas Wäldern Das „Waldsterben“ war in den 1980 und 1990er Jahren in aller Munde - nicht zuletzt aufgrund der intensiven medialen Debatte wurden die damals für das Waldsterben hauptverantwortlichen Schadstoff-Immissionen stark reduziert, was den Wald bedeutend entlastet hat. In jüngster Vergangenheit häufen sich jedoch wieder Meldungen über tote Bäume in Mitteleuropas Wäldern. Verursachen Borkenkäfer, Eschensterben, Dürre & Co. ein neues Baumsterben? Und ist deren Effekt heute größer als jener der Schadstoff-Immissionen vor 30 Jahren? Die Baummortalität steigt
Eine Forschergruppe der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) und der Humboldt-Universität zu Berlin ist jetzt dieser Frage nachgegangen und hat die Baummortalität in Österreich, Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz untersucht. Die Wissenschafter um Cornelius Senf und Rupert Seidl konnten anhand von 720.000 manuell interpretierten Satellitenbildern zeigen, dass sich die Mortalität in Mitteleuropas Wäldern in den letzten dreißig Jahren verdoppelt hat. War 1985 im Schnitt noch ein halbes Prozent der Waldfläche pro Jahr von Mortalität betroffen, so waren es 2015 bereits ein Prozent pro Jahr.
Dies entspricht in etwa einer Waldfläche von 3,000 km2, oder der Fläche der Bundesländer Vorarlberg und Wien zusammen. Basierend auf den nun vorliegenden Daten ist also erstmals klar, dass die aktuelle Welle der Baummortalität jene des „Waldsterbens“ vor 30 Jahren deutlich übersteigt. Weiters zeigte sich, dass Österreich die höchste Mortalitätsrate von sechs untersuchten mitteleuropäischen Ländern aufweist. Mensch und Klima als Verursacher
Die Gründe für das zunehmende Baumsterben sind vielfältig. So waren die letzten Jahre von klimatischen Extremen geprägt, die dem Wald stark zusetzten. „Winterstürme und Borkenkäfer, welche sich durch die warmen und trockenen Bedingungen rasch vermehren, verursachen großflächige Baummortalität“, so der Hauptautor der Studie, Cornelius Senf. Ein weiteres Ansteigen der Baummortalität im fortschreitenden Klimawandel ist wahrscheinlich. Doch auch die menschliche Nutzung des Waldes in Mitteleuropa hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, da Holz ein stark nachgefragter, lokal verfügbarer und nachwachsender Rohstoff ist. Diesbezüglich dokumentiert die Studie, dass der Waldbau in den letzten 30 Jahren deutlich schonender geworden ist. „Unsere Daten zeigen eine Verschiebung von großflächigen Kahlschlägen hin zu einer kleinflächigen Öffnung des Kronendachs und der Entnahme von nur wenigen Bäumen pro Bestand“, so BOKU-Experte Rupert Seidl. Mehr Wald betroffen, jedoch weniger tote Bäume
Und noch eine - auf den ersten Blick paradox anmutende - Entwicklung fanden die Forscher in ihren Daten: Während die von Baummortalität betroffene Waldfläche über die letzten 30 Jahre deutlich zunahm, änderte sich die Anzahl der sterbenden Bäume in Mitteleuropas Wäldern kaum. Dies lässt sich dadurch erklären, dass heute tendenziell ältere und größere Bäume sterben als in der Vergangenheit und diese im Kronendach des Waldes größere Lücken hinterlassen. „Die Antwort auf die Frage, ob wir aktuell eine neue Phase des Baumsterbens erleben hängt also auch davon ab, welche Maßzahl man dafür heranzieht“, betonen die Forscher. Das Baumsterben jedoch nicht gleich „Waldsterben“ ist, darüber sind sie sich einig, denn: Vielerorts wächst unter den abgestorbenen Bäumen bereits die nächste Baumgeneration heran. Kontakt / Rückfragen:
Prof. Rupert Seidl
Institut für Waldbau
Universität für Bodenkultur Wien
Mail: rupert.seidl(at)boku.ac.at
Tel: +43 1 47654 91328 Dr. Cornelius Senf
Geographisches Institut
Humboldt-Universität zu Berlin
Mail: cornelius.senf(at)geo.hu-berlin.de
Tel: +49 151 50652760 Link zur Studie:
Senf et al.: Canopy mortality has doubled in Europe’s temperate forests over the last three decades.
Nature Communications doi.org/10.1038/s41467-018-07539-6 Bildmaterial zur Studie ist auf Nachfrage bei den Autoren erhältlich.