Forschungsprojekt an Uni Wien und BOKU: „Öko-Prämie“ für Neufahrzeuge nicht sinnvoll


Wirtschaftshilfen müssen an soziale und ökologische Bedingungen geknüpft werden. Politisch sollte es weniger um den Umstieg vom Verbrennungs- auf den Elektromotor gehen, sondern um die „Autozentriertheit des Verkehrssystems“ insgesamt. Also einfach nicht die Fehler der Krisenbearbeitung 2008 wiederholen, so Melanie Pichler von der Universität für Bodenkultur (Boku), stellvertretende Leiterin des Forschungsprojekts.

Pressemitteilung:

Ut: Steuergeld für Produktionsschwenk auf nachhaltige Verkehrslösungen nützen

Autoindustrie / Corona / Klimawandel / Emissionsreduktion

Der Wiener Fahrzeughandel forderte am Montag eine Neuauflage der „Schrottprämie“. Im Jahr 2009 sollten in der damaligen Wirtschafts- und Finanzkrise Anreize für den vorgezogenen Kauf von Neuwagen geschaffen werden. Es wird argumentiert, dass damit ein wichtiger Industriezweig, der durch die Corona-Krise besonders betroffen ist, stabilisiert und Arbeitsplätze erhalten werden könnten.

Eine Forschungsgruppe zur Rolle der Beschäftigten und Gewerkschaften im sozial-ökologischen Umbau der Automobilindustrie rund um Prof. Dr. Ulrich Brand (Universität Wien) spricht sich vehement gegen den Vorschlag einer Schrott- oder „Öko-Prämie“ aus. „Eine schlechte und rückwärtsgewandte Politik wird nicht dadurch besser, dass man sie alle paar Jahre wiederholt“, so Brand mit Verweis auf die „Schrottprämie“ 2009 im Zuge der Finanzkrise. „Untersuchungen zeigen, dass bereits die Produktion eines Autos im Schnitt so viel klimaschädliche CO2-Emissionen verursacht, wie rund 30.000 Kilometer Autofahren.“

Die stellvertretende Leiterin des oben erwähnten Forschungsprojekts Dr. Melanie Pichler vom Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) sagt: „Klimapolitisch ist ein Umbau des Verkehrssektors geboten, denn der Straßenverkehr trägt in Österreich 30 Prozent zu den CO2-Emissionen bei. Die Bundesregierung hat sich zu einer weitreichenden Klimapolitik verpflichtet. Hier könnte sie ansetzen.“

Schon vor Ausbruch des Coronakrise war offensichtlich, dass die KFZ-Industrie in eine Krise schlittert. Diese war größtenteils „selbstverschuldet“, weil das Management absehbare Entwicklungen bewusst ignorierte. „Man entschloss sich, Profite und Dividenden zu maximieren, statt die Erträge in Entwicklung und Aufbau alternativer Produktlinien zu investieren. Also: SUVs statt E-Mobilität. Ganz nach der Devise: Man reitet das tote Pferd bis zum Ende“, so Dr. Heinz Högelsbeger, Mitarbeiter in dem Forschungsprojekt. „Die Coronakrise wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger eines schon zuvor lodernden Feuers.“

Die österreichische KFZ-Industrie ist besonders verwundbar, weil sie einen Schwerpunkt auf die Produktion und Entwicklung von Verbrennungsmotoren legt. Heinz Högelsberger: „Veränderungsvorschläge aus der Belegschaft wurden weitgehend ignoriert. Frühere Fertigungstiefe wurde zugunsten von just-in-time-Produktion und langer Wertschöpfungsketten aufgegeben. Dies hat sich nun als sehr fragil und störungsanfällig erwiesen.“ Dazu kommt, so Ulrich Brand, dass „viele Betriebe in Österreich Zweigwerke internationaler Konzerne sind. Strategische Entscheidungen fallen in anderen Ländern und folgen anderen Logiken.“ Außerdem ist die Tendenz zu beobachten, dass in Zeiten der Krise die Aktivitäten in den Stammwerken gebündelt und die Zweigwerke "fallen gelassen" werden.

Melanie Pichler weiter: „Anstatt diese Fehlentwicklungen durch eine Abwrackprämie zu belohnen, sollte der Staat Wirtschaftshilfen an soziale und ökologische Bedingungen knüpfen und so das vorhandene Knowhow auf die Produktion nachhaltiger Verkehrslösungen umleiten.“ Unter Umständen könnte das sogar durch die Übernahme von strauchelnden Unternehmen geschehen.

Das politisch zu bearbeitende Problem der Verkehrspolitik“, so Dr. Pichler, „ist weniger der Umstieg vom Verbrenner auf den Elektromotor, sondern die Autozentriertheit des Verkehrssystems insgesamt. Es bedarf einer Mobilitätswende. Die Chance wurde in der Krise 2008 verpasst und sollte aktuell genutzt werden. Die Klimakrise ist weiter fortgeschritten.“

Gerade als Exportland muss Österreich auf zukunftsfähige Technologien setzen. Das beschränkt sich nicht auf Elektroantriebe von PKWs, sondern geht über die Elektrifizierung von Zweirädern und dem Gewerbeverkehr hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln und neuen Formen der Mobilität. „Die Menschen haben nach der Coronakrise andere Probleme und Sorgen, als sich ein neues Auto zu kaufen. Dies sollte respektiert werden, anstatt mit Steuergeld dubiose und unökologische Konjunkturprogramme zu starten“, fordert Dr. Högelsberger.

Der für diesen Freitag anberaumte fünfte weltweite Klimastreik wird die Öffentlichkeit weiter für den Zusammenhang verschiedener Herausforderungen sensibilisieren. Die Politik sollte zeigen, dass sie nicht nur in der Coronakrise handlungsfähig ist, sondern auch im Kampf gegen die Klimakrise“, sagt Ulrich Brand.

Vor welchen Möglichkeiten und Herausforderungen steht die österreichische Autozulieferindustrie auf ihrem Weg in eine sozial-ökologische und nachhaltige Zukunft? Wie stehen die Beschäftigten zu dieser Entwicklung? Diesen Fragen widmet sich das vom Klima- und Energiefonds seit 2018 finanzierte Forschungsprojekt CON-LABOUR. Mitarbeiter*innen der Universität Wien, der Universität für Bodenkultur und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin beleuchten dafür verschiedene Aspekte.

Rückfragen: Dr. Alexander Behr alexander.behr(at)univie.ac.at, Tel. 0650-3438378

 


28.04.2020