DI Dr. Markus Scharner erhielt für seine Dissertation zum Thema „Risikomanagement in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ von der Österreichischen Hagelversicherung den Förderpreis für besondere wissenschaftliche Arbeiten mit hohem Praxisbezug aus dem Bereich der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) verliehen.


Die Österreichische Hagelversicherung verleiht bereits seit 2012 jährlich den Förderpreis für besondere wissenschaftliche Arbeiten mit hohem Praxisbezug aus dem Bereich der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Der Rektor der Nachhaltigkeitsuniversität, Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hubert Hasenauer, überreichte in der akademischen Feier am 22.11.2019 gemeinsam mit dem Vorstandsmitglied der Österreichischen Hagelversicherung, Mag. Reinhard Kern, die Auszeichnungen für zwei herausragende Arbeiten an DI Philipp Holler und DI Dr. Markus Scharner.


DI Dr. Markus Scharner ist Politischer Referent für Landwirtschaft und Naturschutz an der Niederösterreichischen Landesregierung und schrieb seine Dissertation in unserem Institut für Marketing und Innovation. In seiner Dissertation befasste er sich mit dem „Risikomanagement in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“. Die Messungen der Risikowahrnehmung zeigten, dass für die österreichische Milchwirtschaft Marktrisiken die stärksten Einflussfaktoren darstellen. Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass ein freiwilliges Versicherungssystem nach US-amerikanischem Vorbild unter bestimmten Voraussetzungen einen positiven Effekt auf die Stabilität, Liquidität und somit die Planungssicherheit der Betriebe erzielen kann. Die Umsetzung der Arbeit wird derzeit in einer Arbeitsgruppe geprüft.



Kurzfassung der Dissertation von DI Dr. Markus Scharner zum Thema "Risikomanagement in der Agrar- und Ernährungswirtschaft":

Die Agrar- und Ernährungswirtschaft ist mit den vor- und nachgelagerten Sektoren der zentrale Wirtschaftsmotor im ländlichen Raum. Stabile Rahmenbedingungen der Agrar- und Lebensmittelproduktion sind die zentrale Grundlage für eine gedeihliche Entwicklung der ländlichen Gebiete. Wetterextreme, schwankende Preise und der internationale Wettbewerbsdruck stellen die kleinstrukturierten österreichischen Produktionssysteme vor neue Herausforderungen. Risikomanagement gewinnt in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung. Die Dissertation beschäftigt sich mit Risikomanagement in der Agrar- und Ernährungswirtschaft und hat somit hohe Relevanz für die österreichische Agrar- und Ernährungswirtschaft, zumal kaum empirische Arbeiten in diesem Bereich für Österreich vorliegen.

Die milchwirtschaftliche Produktion stellt gemessen am landwirtschaftlichen Produktionswert den wichtigsten Produktionszweig der österreichischen Agrarproduktion dar. Vor dem Hintergrund der Liberalisierung des Milchmarktes, der zunehmenden Technisierung und Spezialisierung der Produktionsprozesse, und einer steigenden gesellschaftlichen Erwartungshaltung an tierhaltende Betriebe wurde der Sektor Milch für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Risikomanagement herangezogen.

Risiken sind ein Konstrukt von Wahrnehmungen und werden maßgeblich von Emotionen, Urteilen und Meinungen beeinflusst. Ein ganzheitlicher Ansatz im Umgang mit Risiken kann daher nur unter konsequenter Berücksichtigung des Faktors Mensch erfolgen. Daher befasst sich die Dissertation mit der Risikowahrnehmung und Risikoeinstellung von ausgewählten Akteuren der milchwirtschaftlichen Produktion. Aufbauend auf diesen Erhebungen widmet sich die Arbeit einem konkreten Anwendungsfall: Dem Umgang mit den zunehmenden Preisvolatilitäten auf den europäischen Milchmärkten. Am Beispiel des Dairy Margin Protection Program (DMPP) der Vereinigten Staaten von Amerika wird die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Preisabsicherung geprüft. Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Forschungsprojekte zusammengefasst:

Die Erhebungen zur Risikowahrnehmung und -einstellung liefern erstmals Einblicke in das Risikoverhalten von Führungskräften in österreichischen Molkereien. Im Hinblick auf Repräsentativität bilden die Ergebnisse nicht die gesamte österreichische Milchverarbeitung ab, sondern lassen allein Aussagen für größere Molkereibetriebe zu. Die Risikoeinstellung der Befragungsteilnehmer ist überwiegend risikoavers ausgeprägt. Zwischen den unterschiedlichen Positionen im Unternehmen (Geschäftsführung, Produktionsleitung und Qualitätsmanagement) konnten deutliche Unterschiede hinsichtlich der Risikoeinstellung konstatiert werden. Dadurch lässt sich ableiten, dass bei der Implementierung eines Risikomanagementsystems die unterschiedlichen Sichtweisen und Betriebssphären durch eine ausreichende Partizipation zu berücksichtigen sind. Die Ergebnisse zur Risikowahrnehmung zeigen, dass sich der größte Handlungsbedarf im Bereich der wirtschaftlichen Risiken, wie der Entwicklung der Marktpreise am Verbrauchermarkt und den Produktionsrisiken im Leistungserstellungsprozess erschließt. In einer vergleichbaren empirischen Untersuchung in 34 deutschen Molkereiunternehmen zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. Die zunehmende Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels und die steigenden Preisvolatilitäten am Beschaffungsmarkt verschärfen die Preis-Kosten-Schere für die milchverarbeitenden Unternehmen. Auch Fehler im Produktionsprozess und die Abhängigkeit von Großabnehmern werden von deutschen Molkereiunternehmen als hohes Risiko bewertet. Die Ergebnisse liefen einen Anhaltspunkt für die Implementierung und Ausgestaltung von Risikomanagementsystemen in milchverarbeitenden Unternehmen.

Die Ergebnisse der Erhebungen zur Risikoeinstellung und -wahrnehmung von Milchproduzenten zeigen, dass die Befragungsteilnehmer eine vorwiegend risikoneutrale Einstellung aufweisen. Im Hinblick auf die Risikowahrnehmung messen die befragten Milchproduzenten den Politikrisiken und Marktrisiken, gefolgt von den Produktionsrisiken, die größte Bedeutung bei. Vergleichbare Studien über Milchproduzenten aus dem deutschsprachigen Raum zeigen eine ähnliche Tendenz. Auffallend ist, dass deutsche Milchproduzenten der Verringerung von Direktzahlungen eine deutlich niedrigere Bedeutung beimessen als österreichische Milchproduzenten. Die Risiken sinkende Flächenverfügbarkeit sowie steigende Pacht- und Futtermittelpreise werden von deutschen Milchproduzenten deutlich höher bewertet. Aus den vorliegenden Ergebnissen zur Risikowahrnehmung von österreichischen Milchproduzenten lässt sich ableiten, dass die Stabilisierung der Milchpreise –insbesondere im Hinblick auf liberalere Rahmenbedingungen am europäischen Milchmarkt – an Bedeutung gewinnen dürfte. Politikrisiken, wie die Verringerung von Direktzahlungen oder Verschärfungen im Tierschutzrecht, sind für einzelne Milchproduzenten nicht kontrollierbar, können aber für viele Betriebe – in Abhängigkeit der Betriebsgröße – eine existenzbedrohende Ausformung annehmen.

Versicherungsmodelle für Marktrisiken nach U.S. amerikanischem Vorbild stellen einen Lösungsansatz dar, um die Planungssicherheit der milchproduzierenden Betriebe zu verbessern. Die Modellkalkulationen zur Übertragbarkeit des Dairy Margin Protection Program auf die österreichische Agrarstruktur zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein positiver Effekt auf die Stabilität, Liquidität und somit die Planungssicherheit der Betriebe erzielt werden kann. Die Effektivität der Versicherung ist dabei maßgeblich von der Prämienstützung durch öffentliche Mittel abhängig. Ohne den Zuschuss von öffentlichen Mitteln übersteigen die Kosten für die Rückversicherung und Verwaltung die Auszahlungen. Vorteile dieser Maßnahme zur Einkommensstabilisierung sind die betriebsindividuellen Auswahlmöglichkeiten des Absicherungsniveaus und der Absicherungsmenge, die Minimierung des Moral Hazards und die unbürokratische Abwicklung. Die Modellkalkulationen liefern unter der Annahme ceteris paribus einen ersten positiven Befund zur Übertragbarkeit auf die österreichische Agrarstruktur.

Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eines Versicherungsproduktes für österreichische Betriebe werden derzeit  – im Rahmen eines Forschungsprojektes der Landwirtschaftskammer mit Unterstützung des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus – weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt.


28.11.2019