22.06.2020 - Was Familien auf dem Land brauchen, um auch ohne Auto mobil sein zu können
BOKU-Verkehrsexperte Oliver Roider: „Durch die zumeist kurzen Distanzen ist das Potential für umweltfreundliche Mobilität in den Gemeinden sehr hoch.“
Was benötigen Familien mit kleinen Kindern, um in Gemeinden auf dem Land nachhaltig mobil sein zu können? Dieser Frage sind das Institut für Verkehrswesen an der BOKU und das Mobilitätsforschungsinstitut FACTUM im Rahmen des Forschungsprojekts „ANFANG – Nachhaltige Familienmobilität“ nachgegangen.
Derzeit ist der Pkw im ländlichen Raum nach wie vor das dominante Verkehrsmittel, auch bei kurzen Wegen. Eine Detailauswertung der österreichweiten Mobilitätserhebung „Österreich Unterwegs“ zeigt, dass mehr als 75% der Begleitwege mit Kindern unter sechs Jahren mit dem Auto zurückgelegt werden. Obwohl es sich hierbei zum Großteil um Wege handelt, die kürzer als 5 km sind.
Forschungsprojekt in zwei niederösterreichischen Modellgemeinden
Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen lässt sich in vielen Gemeinden ein nachhaltiges Mobilitätsverhalten aber nur schwer umsetzen. Welcher Maßnahmen es demnach bedarf, um Familien konkret zu unterstützen und zu motivieren, vermehrt kurze Wege mit dem Rad oder zu Fuß zu erledigen, wurde in einem Forschungsprojekt in den niederösterreichischen Modellgemeinden Spillern und Langenzersdorf näher untersucht. Dabei wurden in den beiden Modellgemeinden der Straßenraum analysiert sowie Interviews mit Jungfamilien durchgeführt. Konkrete Vorschläge wurden mit Familien und den Bürgermeistern diskutiert.
Viele Familien sehen das Fahrrad zwar als beliebtes Verkehrsmittel, genutzt wird es aber im Alltag trotzdem wenig. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Angst vor dem Autoverkehr. Stark befahrene Straßen oder hohe Fahrgeschwindigkeiten der Kfz verleiden vielen das Radfahren in der Gemeinde. Selbst Tempo 30 km/h Zonen, die zur Reduktion der Geschwindigkeit beitragen sollen, werden als unsicher und nicht als Motivation zum Radfahren mit Kindern empfunden. Gleiches gilt in Analogie für das Zufußgehen.
Bündel an Maßnahmen erforderlich
Gefordert werden daher baulich getrennte Radwege, Gehwege mit ausreichender Breite, um auch mit dem Kinderwagen sicher unterwegs zu sein, ein zusammenhängendes und durchgängiges Rad- und Fußwegenetz in der Gemeinde, aber auch zu Nachbargemeinden, und sichere Querungsmöglichkeiten bei Hauptstraßen. Die Infrastruktur für Radfahren und Zufußgehen sollte regelmäßig gewartet werden und frei von gefährlichen Schlaglöchern oder Grünwuchs von angrenzenden Flächen sein. Vor allem Routen zu den bevorzugten Zielen mit Kindern wie Kindergarten, Schule oder Spielplätze stehen hier im Fokus. Der unmittelbare Straßenraum im Bereich dieser Ziele sollte verkehrsberuhigt gestaltet sein und entsprechende Aufenthaltsqualität aufweisen. Dies können beispielsweise autofreie Flächen vor Schulgebäuden, die Errichtung von Begegnungszonen oder die temporäre Sperre der Straße für den Autoverkehr zu Schulbeginn sein.
„Durch die zumeist kurzen Distanzen ist das Potential für umweltfreundliche Mobilität in den Gemeinden sehr hoch. Die Notwendigkeit der Förderung wurde bereits vielerorts in den Planungsprozessen inkludiert“, so Oliver Roider, Leiter des Forschungsprojektes an der BOKU.
Aktive Einbindung von Familien mit Kindern
Abseits der familienfreundlichen Gestaltung des Straßenraums gibt es zahlreiche begleitete Maßnahmen, die zu einem Umdenken führen können. In vielen österreichischen Gemeinden werden Workshops von der Gemeinde organisiert, in denen Familien sowohl Probleme als auch Lösungen aus ihrer Sicht darlegen können. Auch Kindergärten und Schulen können gemeinsam mit den Eltern die Begleitwege umweltfreundlich und aktiv organisieren: beispielsweise indem die Kinder diese Wege in Begleitung eines Erwachsenen gemeinsam zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen. Veranstaltungen und Aktionsstage zur nachhaltigen Mobilität mit temporären Sperren des Straßenraums für den Autoverkehr tragen zusätzlich zur Bewusstseinsbildung in der Gemeinde bei.
Für Bürgermeister Thomas Speigner aus Spillern hat die Teilnahme an dem Forschungsprojekt ANFANG wichtige Grundlagendaten geliefert: „Die Ergebnisse aus dem ANFANG-Projekt werden Einfluss auf die Mobilitätsplanung in Spillern nehmen. Die spezifischen Herausforderungen der Familien werden noch mehr Berücksichtigung finden.“
Das Projekt wurde im Rahmen des Programms „Mobilität der Zukunft“ durch das BMK gefördert. Die Maßnahmensammlung, die im Rahmen des Forschungsprojekts zur Förderung von nachhaltiger, körperlich aktiver Mobilität von Familien im ländlichen Raum erarbeitet wurden, können per E-Mail an die BOKU oder an FACTUM bezogen werden.
Kontakt:
DI Dr. Oliver Roider
Institut für Verkehrswesen
Universität für Bodenkultur Wien
E-Mail: oliver.roider(at)boku.ac.at
Mag. Karin Ausserer
Factum – Mobility Research Innovation
E-Mail: karin.ausserer(at)factum.at