03.06.2022 - Umweltgeschichte im Spannungsfeld von Facts und Fake News
BOKU-Matinée zum World Environment Day am 5. Mai 2022.
Die Öffentlichkeit ist heute mit Informationen aus vielen Quellen konfrontiert, deren Qualität sehr unterschiedlich ist und dessen Einschätzung schwerfällt. Elektronische Medien werden immer mehr zur Hauptinformationsquelle. Anlässlich ihres Übertritts in den Ruhestand schenkte die Pionierin der Umweltgeschichte Verena Winiwarter ihre umfassende Handbibliothek der Universität für Bodenkultur Wien. Dieser Literaturbestand ist in dieser Form einzigartig im deutschsprachigen Raum und soll so der wissenschaftlichen Community, vor allem aber den Studierenden zur weiteren Nutzung erhalten bleiben. Quellensicherheit ist gerade in den stark interdisziplinär geprägten Umweltwissenschaften ein schwer überblickbares Feld, das gute Navigationsfähigkeiten voraussetzt.
Aus diesem Anlass und im Vorfeld des World Environment Day am kommenden Sonntag lud die Universität für Bodenkultur Wien zu einer Matinée mit dem Titel „Facts versus Fake News“. Moderiert von Verena Winiwarter saßen mit Birgit Dalheimer (ORF Radio Ö1) und Patricia McAllister-Käfer (Freie Autorin, u.a. für die ZEIT) zwei herausragende österreichische Journalistinnen. Die Gewässerhistorikerin und Expertin für historische Fischbestände Gertrud Haidvogl brachte die Sicht der interdisziplinären Umweltwissenschaften ein.
Zur Erinnerung an die erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen, die von 5. bis 16. Juni 1972 stattfand, wird jährlich am 5. Juni der World Environment Day gefeiert, auf dessen Webseite 50 Jahre später zu lesen ist: „Klimawandel, Verlust von Natur und biologischer Vielfalt, Umweltverschmutzung und Abfall - die Anzeichen dafür, dass die Erde im roten Bereich liegt, sind allgegenwärtig und werden jeden Tag bedrohlicher. „Die beteiligten Systeme sind komplex, nicht-linear, von Kipppunkten und Unstetigkeiten geprägt“, betonte Verena Winniwarter. Zu nahezu jedem neu veröffentlichten umweltwissenschaftlichen Befund werde alsbald eine Gegenmeinung in einem sozialen Medium verbreitet. Das Internet und die sozialen Medien hätten nicht nur das Nützliche, sondern auch das ,Rauschen‘ vervielfacht.
Slow Science aus dem Bücherregal
Fake News seien schnelllebig, einseitig und emotional aufgeladen, so Winiwarter weiter. „Eine überschaubare Handbibliothek von Büchern, die in Regalen verfügbar sind, erlaubt es, ,gesichertes Buchwissen‘ - ein von Ludwik Fleck geprägter Begriff - im Überblick wahrzunehmen und führt nicht nur zu mehr Orientierung, sondern erlaubt es auch, der Neugierde folgend, interessante Verbindungen zu ziehen, der Entwicklung eines Gedankens über Jahre nachzuspüren und Anregungen für eigene Arbeiten zu finden.“
Außerhalb der eigenen Echokammer
Für Birgit Dahlheimer ist Wissenschaft ein Teil der kulturellen Leistungen einer Gemeinschaft: „Ich finde es wichtig, im Auge zu behalten, welche Wissenschaft wann, wo und warum betrieben und/oder durch staatliche Förderung ermöglicht wird. Diese Kontextualisierung kann nur gelingen, wenn Wissenschaftler*innen sich auch außerhalb der eigenen Echokammern nach Anregungen und Widerspruch umsehen. Das macht Überraschungen möglich.“ Das vermeintlich ziellose, aber im Kern einfach ergebnisoffene Stöbern in einer gut organisierten Bibliothek sei ein probates Mittel zur Erweiterung des Horizonts und damit ein wichtiges Reflexionsinstrument.
Cui bono?
„Bei jeder Recherche frage ich mich: Warum wird mir was gerade in welcher Form präsentiert?“, so Patricia McAllister-Käfer. „Möchte mir jemand in einem Hintergrundgespräch, bei einem Interview oder einer Präsentation etwas „verkaufen“ oder mich in seinem*ihrem Sinne beeinflussen?“ Viele Journalist*innen täten ihr Möglichstes, um solche Absichten aufzudecken und rät jedem/jeder, die Botschaften, die in den sozialen und anderen Medien präsentiert werden, zu hinterfragen.
Der Erkenntnisfindung auf der Spur
Für Gertrud Haidvogl ist es wichtig, die Geschichte der Fakten zu kennen: „Um Facts verlässlich erkennen zu können, müssen Studierende lernen, wie diese zustande kommen. Gerade in interdisziplinären Feldern wie den Nachhaltigkeitswissenschaften ist das besonders herausfordernd, weil unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen unterschiedliche Methoden der Erkenntnisgewinnung haben.“ Um sich mit diesen auseinanderzusetzen, reiche das schnelle Surfen durch verschiedene Webseiten nicht aus!