15.11.2022 - Hefe statt Rohöl – auf dem Weg zu erneuerbaren Kunststoffen
Forscher der Universität für Bodenkultur Wien und des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) fanden einen Weg, mithilfe einer optimierten Hefe das schädliche Treibhausgas CO2 als Rohstoff für die Produktion industrieller Produkte wie Bioplastik, Absorptionsmittel oder wichtige Chemikalien einzusetzen und somit in langlebige Materialien zu binden. Die noch im Labormaßstab befindliche Technologie ist nicht nur klimaneutral, sondern könnte zukünftig – so das Ziel – einen wirksamen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten.
Kohlenstoff ist der Grundbaustein des Lebens auf unserer Erde. Wir nehmen ihn etwa in Form von Kohlenhydraten als Nahrung zu uns, verbrauchen fossile Treibstoffe und produzieren aus Kohlenstoff viele Materialien des Alltags, wie zum Beispiel Plastik. Trotz seiner vielen Vorteile befeuert Kohlenstoff aufgrund dessen extensiver Nutzung seit der industriellen Revolution eines der größten Probleme des Anthropozäns – den Klimawandel.
Auf der einen Seite gilt der menschgemachte Anstieg von CO2-Emissionen als größte Triebfeder der globalen Erderwärmung. Auf der anderen Seite gehen fossile Ressourcen, die klima- und umweltschädlich sind, zur Neige. Als Antwort auf den fortschreitenden Klimawandel und den steigenden Bedarf an erneuerbaren Ressourcen, welche unabhängig von landwirtschaftlichen Rohstoffen sind, wird daher das Recycling von CO2 als Ausgangstoff immer interessanter.
Kunststoffe und Chemikalien aus CO2
Zu einer der größten Zukunftshoffnungen bei der Entwicklung von CO2-neutralen oder sogar CO2-negativen industriellen Prozessen zählt die moderne industrielle Biotechnologie. Vor wenigen Jahren konnte eine Arbeitsgruppe rund um Diethard Mattanovich, Senior Researcher am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und Professor am Department für Biotechnologie (DBT) an der Universität für Bodenkultur Wien und eine CO2-produzierende, heterotrophe Hefe namens Komagataella phaffii so modifizieren, dass sie ihre Biomasse gänzlich aus CO2 aufbauen kann. „Nun sind wir noch einen bedeutenden Schritt weitergekommen: Wir konnten Ausgangsstoffe für industrielle Produkte wie Bioplastik, Polymere oder Absorptionsmittel aus CO2 produzieren, indem wir weitere Gene aus Milchsäurebakterien und Schimmelpilzen in die modifizierte Hefe eingebracht haben“ erklärt Diethard Mattanovich. Diese bahnbrechende Arbeit wurde kürzlich in der Fachzeitschrift „The Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ veröffentlicht.
Erste Erfolge im Labormaßstab
Durch die Anwendung von Methoden der synthetischen Biologie konnten die Stoffwechselwege für die Produktion von Itaconsäure und Milchsäure in die modifizierte Hefe K. phaffii eingebracht werden und beide Produkte aus CO2 hergestellt werden. Mithilfe von 13C Isotopenmarkierung konnten die ForscherInnen zudem nachweisen, dass die gewünschten Produkte ausschließlich aus CO2 hergestellt wurden. Mit einer Ausbeute von fast 2 Gramm Itaconsäure pro Liter konnten schon erste Erfolge gefeiert werden. „Bis zur industriellen Reife müssen wir die Stämme und Prozesse weiter optimieren“, meint Mattanovich. „Im Labormaßstab konnten wir jedoch bereits zeigen, dass man Treibhausgase tatsächlich als Rohstoff für wichtige Chemikalien nutzen kann“, fasst Özge Ata, Senior Scientist am acib und Forscherin an der BOKU das enorme Potenzial dieser Arbeit zusammen.
Anstatt weiter Erdöl als Rohstoff einzusetzen und damit Treibhausgase freizusetzen, kann die neue Technologie Kohlendioxid in langlebige Materialien binden. Eine derartige „Carbon Capture and Utilization“ Technologie wäre also nicht nur klimaneutral, sondern tatsächlich ein wirksamer Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels.
Als Teil des acib-Schwerpunkts zur Nutzbarmachung von CO2 als Ressource wurde das Lighthouse-Projekt von acib finanziert sowie vom EU-Projekt VIVALDI an der BOKU unterstützt.
Der Link zur Publikation: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2211827119
Über die Universität für Bodenkultur Wien
Die Universität für Bodenkultur Wien ist mit rund 2.200 Wissenschaftler*innen und 11.000 Studierenden eine der führenden Life-Sciences-Universitäten Europas. Dank der Verknüpfung von Naturwissenschaften, Technik sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zeichnen sich Forschung und Lehre durch eine ganzheitliche Herangehensweise an Problemstellungen aus. Nachhaltigkeit, Klimafolgen, Ressourcenknappheit, Umweltschutz, Ernährungs- und Gesundheitssicherheit: Die Herausforderungen und Probleme unserer Zeit sind in vielfacher Weise miteinander verbunden und lassen sich nur auf inter- und transdisziplinäre Weise lösen. Die BOKU unterhält weltweit 18 Abkommen in Form von Netzwerkmitgliedschaften und rund 360 multi- und bilaterale Partnerschaften mit Universitäten und Forschungseinrichtungen und ist Teil der European University EPICUR. www.boku.ac.at
Über die acib GmbH
Das 2010 gegründete Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) entwickelt neue, umweltfreundlichere und ökonomischere Prozesse für die Biotech-, Chemie- und Pharmaindustrie und verwendet dafür die Methoden der Natur als Vorbild. Das acib, eine Non-Profit-Organisation, ist ein internationales Forschungszentrum für industrielle Biotechnologie mit weltweiten Standorten und Hauptsitz in Graz. acib versteht sich als Partnerschaft von 150+ Universitäten und Unternehmen. Eigentümer des acib sind die Universität Innsbruck und Universität Graz, die Technische Universität Graz, die Universität für Bodenkultur Wien sowie Joanneum Research. Gefördert wird das K2-Zentrum im Rahmen des COMET-Programms durch das BMK, BMDW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Das COMET-Programm wird durch die FFG abgewickelt. www.acib.at
Rückfragehinweise
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Diethard Mattanovich
Senior Researcher Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib)
Leiter am Department für Biotechnologie (DBT) an der Universität für Bodenkultur BOKU Wien
E-Mail: diethard.mattanovich(at)boku.ac.at
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