Die Umgestaltung und der Ausbau des globalen Elektrizitätssektors sind von zentraler Bedeutung für die Eindämmung des Klimawandels und die Linderung der Energiearmut. In einem neuen Artikel analysieren Forscher des Instituts für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien den Materialbedarf und die damit verbundenen Treibhausgasemissionen verschiedener Pfade im Elektrizitätssektor bis 2050.

Künftige Stromerzeugungssysteme, die auf erneuerbaren Energiequellen basieren, können die Treibhausgasemissionen reduzieren, brauchen aber bei der Errichtung mehr Rohstoffe. In einer neuen Studie berechnet ein Forscherteam des BOKU-Instituts für Soziale Ökologie im Rahmen des EU-Projektes MatStocks unter Leitung von Helmut Haberl den Materialbedarf und die damit verbundenen Treibhausgasemissionen verschiedener Pfade im Elektrizitätssektor bis 2050.

Wieviel Rohstoffe benötigt die Energiewende?

Die Forscher bewerten den Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Materialbedarf im Stromsektor, indem sie analysieren, welche Mengen an Eisen und Stahl, Aluminium, Kupfer und Beton für den Ausbau der Elektrizitätsinfrastruktur nötig sind. Das Team um Haberl bestimmt die für den Materialbedarf entscheidenden Faktoren und bewertet die Relevanz der Energiewende im Stromsektor für den zukünftigen Rohstoffbedarf. Dieser spielt auch für die zukünftigen Treibhausgasemissionen im Industriesektor eine wichtige Rolle, zumal die Nachfrage nach den betrachteten Materialien etwa ein Siebtel der derzeitigen weltweiten Emissionen verursacht. Um der Vielfalt an möglichen Entwicklungspfaden Rechnung zu tragen, werden insgesamt 281 Szenarien des Integrated Assessment Modelling Consortium (IAMC) ausgewertet, die auch aktuellen Berichten des Weltklimarates IPCC zugrunde liegen.

Klimafreundlich ist materialintensiver

Fünf ausgewählte, sehr unterschiedliche Szenarien werden im Detail analysiert, indem ihre jeweiligen jährlichen Materialbestände und -ströme sowie die kumulativen Treibhausgasemissionen bis 2050 berechnet werden. Demnach ist der Materialbedarf in Szenarien, die mit dem 1,5 °C-Ziel übereinstimmen, deutlich höher als in Szenarien, die einen globalen Temperaturanstieg von 2 °C überschreiten. Dies deshalb, weil für den Ausbau von Photovoltaik, Windkraft und anderen erneuerbaren Technologien pro erzeugter Strommenge mehr Material investiert werden muss als bei Fossil- oder Kernenergie. Die Materialbestände im Jahr 2050 unterscheiden sich um bis zu 30 % für Kupfer, 100 % für Beton, 150 % für Eisen/Stahl und 260 % für Aluminium, selbst wenn die besonders materialintensiven Szenarien, welche die Erderhitzung auf unter 1.5°C begrenzen, ausgeschlossen werden. Obwohl der größte Teil des Materialbedarfs auf Kraftwerke entfällt, verursachen Netzausbau und -verstärkung, die notwendig sind, um einen großen Teil der volatilen Stromerzeugung aufzunehmen und den universellen Zugang zu Elektrizität zu gewährleisten, ebenfalls einen erheblichen Materialbedarf.

Materialeffizienz und kohlenstoffarme Industrieverfahren entscheidend

Projektleiter Helmut Haberl: „Die Studie zeigt, dass man für den Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungskapazitäten mehr Material braucht, was auch zu Treibhausgas-Emissionen führt. Diese Investitionen rechnen sich mittel- und langfristig, weil der Bedarf an fossilen Brennstoffen reduziert wird. Zudem kann der Materialbedarf durch effizientere Technik begrenzt und die Treibhausgas-Emissionen bei der Herstellung der benötigten Materialien gesenkt werden“. Ohne künftige Treibhausgas-Minderungsmaßnahmen in der verarbeitenden Industrie könnten die THG-Emissionen im Zusammenhang mit Massengütern (vor allem Eisen/Stahl und Aluminium) ein Zehntel des verbleibenden Kohlenstoffbudgets ausmachen, welches eine 50-prozentige Chance bietet, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Wenn jedoch materialeffiziente Technologien bevorzugt werden, kohlenstoffarme Verfahren in den Industrien angewandt werden und ein verstärktes Materialrecycling erreicht wird, werden die Treibhausgas-Emissionen durch verstärkten Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungstechnologien in Dekarbonisierungspfaden nicht wesentlich über jenen der Szenarien liegen, in denen weitgehend Kraftwerke mit Fossilenergieverbrennung ausgebaut werden.

Generell erfordern Szenarien mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien mehr Material als Szenarien, die auf fossilen Brennstoffen oder Kernenergie basieren, doch der zusätzliche Materialbedarf ist im Vergleich zum Materialbedarf der restlichen Wirtschaft überschaubar. Es gibt auch Optionen zur Verringerung der Materialintensität von Technologien für erneuerbare Energien und zur Dekarbonisierung des Baustoffsektors, die dazu beitragen könnten, den Materialbedarf und die Treibhausgasemissionen bei der Installation zusätzlicher erneuerbarer Kapazitäten zu senken. „Auch Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz stromverbrauchender Anlagen bei Endverbrauchern könnten mithelfen, den Materialbedarf für zusätzliche Kraftwerke zu begrenzen. Würden sie breit ausgerollt, müssten erneuerbare Kraftwerkstechnologien weniger stark ausgebaut werden, oder es könnte der Ersatz fossiler Kraftwerkskapazitäten schneller erreicht werden“, so Haberl abschließend.

Studie

Gerald Kalt, Philipp Thunshirn, Fridolin Krausmann, Helmut Haberl 2022: Material requirements of global electricity sector pathways to 2050 and associated greenhouse gas emissions. Journal of Cleaner Production, Volume 358, 2022, 132014

https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2022.132014

Wissenschaftlicher Kontakt:

Univ.Prof. Mag. Dr. Helmut Haberl
Institut für Soziale Ökologie (SEC)
Universität für Bodenkultur Wien
helmut.haberl(at)boku.ac.at
Tel.: +43-699-19130591