BOKU-Forscher*innen fordern anlässlich einer Veranstaltung zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitszielen bis 2030 den transdisziplinären Dialog mit Verantwortungsträger*innen als neue Aufgabe der Universitäten ein.

Diskutierten über die Rolle der Wissenschaft bei den UNO-Nachhaltigkeitszielen: (von links) Klaus Steiner (Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten), Katrin Hipmair (Fridays 4 Future), Raffaela Moderatorin Schaidreiter (ORF), Georg Gratzer (BOKU), Rektorin Eva Schulev-Steindl, Josef Settele (Biodiversitätsforscher) und Franz Fehr (BOKU). (c) BOKU Medienstelle/Christoph Gruber

Vor sieben Jahren weckten die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen große Hoffnungen. Sie formulieren eine inklusive, ganzheitliche Vision für eine lebenswerte Welt für alle. Die dafür nötige Transformation bis 2030 soll sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig sein. Am vergangenen Dienstag, dem 11. Oktober, fand an der BOKU eine ganztägige Veranstaltung unter dem Titel „SDG-Halbzeit – eine lebenswerte Welt für alle bis 2023 statt? Im Mittelpunkt stand die Frage: Sind wir in Österreich am richtigen Weg?

„Österreich steht in den SDG-Rankings gut da. Das liegt jedoch auch daran, dass wir in vielen Bereichen, als die SDGs beschlossen wurden, sehr günstige Voraussetzungen hatten.“ Mit Franz Fehr stellt die BOKU den Rats-Vorsitzenden des Projekts UniNEtZ (Universitäten und Nachhaltige Entwicklungsziele), bei dem sich österreichweit 20 Partnerinstitutionen mit rund 300 Wissenschafter*innen aus rund 30 Disziplinen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam an der Umsetzung der SDGs in Österreich zu arbeiten. „Wenn man sich den Zeitverlauf der Indikatoren ansieht, wird schnell klar: Wir haben auf dem Weg zur Zielerreichung noch großen Handlungsbedarf – teilweise bewegen wir uns von den Zielen sogar weg“, so Fehr.

Als Kernergebnis der SDG-Workshops fasst Fehr zusammenfassen: „Es reicht für eine Wissenschaftler*in heute nicht mehr, nur zu forschen und zu publizieren. Das Wissen muss zur Handlung gebracht werden. Transdisziplinärer Dialog mit den Verantwortungsträger*innen ist eine der neuen Aufgaben der Universitäten.“

BOKU als Vorreiterin in der SDG-Umsetzung

„Die BOKU arbeitet seit der ersten Minute der Ratifizierung der UN-Agenda 2030 an der Umsetzung der SDGs in Österreich und war eine der federführenden Universitäten, die im Rahmen der Allianz Nachhaltiger Universitäten gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium dieses Projekt entwickelt und gestartet hat“, betonte BOKU-Rektorin Eva Schulev-Steindl zu Beginn der Nachmittagsveranstaltung, die von Raffaela Schaidreiter, Leiterin des ORF-Korrespondentenbüros in Brüssel, moderiert wurde.

Einleitend bat man die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, die auch für ihre kritischen Beiträge zu tagesaktuellen Themen bekannt ist, um ihren Befund: Es ginge natürlich, sich nachhaltig besinnen zu wollen, alle Verbindungen mit der Macht aufzugeben und sich einer basal einschließenden und wertschätzenden Vermittlung der Forschung zu widmen. Eine Forschung müsste das sein, die mitgeteilt, verstanden und gelebt werden kann. Der Kampf um die Welt findet hier in unseren Kulturen in den Personen selbst statt, deshalb würde sie vorschlagen, zuallererst den jeweiligen eigenen Roman zu schreiben und aus den Erkenntnissen aus diesem Vorgang ein Curriculum zu entwickeln. „Sie werden feststellen, dass es um Ertragen geht, um Aushalten, um das Ertragen von Wahrheiten, das Ertragenkönnen der Wahrheiten und es geht um den Willen, dass die Welt ungeteilt allen zusteht“, so Streeruwitz.

Nachholbedarf in puncto Klimaneutralität

„Es ist wissenschaftlich belegt, dass Klimaschutzmaßnahmen unser Land um ein Vielfaches günstiger kommen würden, als die Kosten für die Folgen der Klimakrise, ganz abgesehen von den Strafzahlungen“, unterstrich BOKU-Studentin und Fridays-for-Future-Aktivistin Katrin Hipmair die Suche nach wirksamen Lösungen ihres Vorredners. Aus Sicht der Klimagerechtigkeitsbewegung sei Österreich im Vergleich zu anderen industrialisierten Ländern auf keinem guten Weg: „Seit 32 Jahren sind die Treibhausgasemissionen in Österreich nicht gesunken – und die Regierung will in den nächsten 20 Jahren zur Klimaneutralität kommen.“ Jedoch in den Gesetzesentwürfen fehle das.

Breite gesellschaftliche Akzeptanz

 Wie steht es um die nationalen Ziele der österreichischen Regierung? „Es gibt Ziele in Teilbereichen wie Klimaneutralitätsziele oder Strom aus erneuerbarer Energie, es gibt aber keinen nationalen SDG-Zielkatalog, wir orientieren uns am Zielkatalog der UN“, so Klaus Steiner vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. In der konkreten Umsetzung gelte es, auch Leute zu überzeugen, die von einer spezifischen Maßnahme nicht unmittelbar profitieren. Angesichts der vielen Akteur*innen, von Politik über Verwaltung und Wissenschaft bis zu Zivilgesellschaft und Wirtschaft, brauche es eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz. „Es sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die nicht ganz simpel zu steuern sind", so Steiner. „Angesichts der gegenwärtigen multiplen, globalen Krisen (COVID, Klimawandel, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, …) sind die Herausforderungen für die Umsetzung der SDGs im vergangenen Jahr jedoch deutlich größer geworden“, gibt Steiner zu bedenken. Aber: „Die SDGs können uns inmitten der Unsicherheiten und Krisen als Kompass dienen, um bei den täglich anstehenden Entscheidungen das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren“.

Beispiel: Reduktion von Fleischkonsum

Ein gutes Beispiel für das umfangreiche Potential der SDGs und von möglichen Synergien in der Zielerreichung brachte Gratzer anhand des Themas Fleischkonsum in der Ernährung in die anschließende Podiumsdiskussion ein: „In Österreich essen wir pro Person und Jahr 63 Kilo Fleisch. An der BOKU wurde in einer der Handlungsoptionen für die Regierung zusammengefasst, was passieren würde, wenn uns eine nachhaltige Diät von 22 Kilo pro Jahr gelingen würde, mit der jeder und jede gut leben könnte. Das Ergebnis: Wir reduzieren damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zu 45 Prozent, wir reduzieren Diabetes, wir reduzieren Methan-Ausstoß und Treibhausgase und wir reduzieren damit auch 30 Prozent an landwirtschaftlichen Flächen, die wir als Öko- und Biodiversitätsflächen nutzen könnten, um die viele Probleme zu lösen, denen wir jetzt ausgesetzt sind. Alles spricht also für große, integrative Lösungen. Es wird aber nicht leicht sein!“

Prozesse beschleunigen

SDGs sollen der Politik nicht nur einen Kompass geben, sondern Zielkoordinaten festlegen. Aber: Haben SDGs außerhalb des akademischen Diskurses überhaupt eine Relevanz? „Oft dauert es, dass Dinge, die wir erforschen, in der Gesellschaft ankommen“, so der deutsche Biodiversitätsforscher Josef Settele. Es ginge jetzt darum, diesen Prozess zu beschleunigen und als Wissenschaftler*in die Nachhaltigkeitsziele aktiv unter das Volk bringen. „Das ist nicht trivial, aber es lohnt sich für alle, die an einer Universität tätig sind.“ Settele plädierte aber auch für die Grundlagenforschung, die man nicht vernachlässigen dürfe, auch wenn sie momentan aus Sicht der Anwendungs-Umsetzungsthematik noch „zwecklos“ ist. „Die müssen wir in petto haben, wenn sie gebraucht wird.“

Die Podiumsdiskussion zur SDG-Halbzeit kann auf https://www.youtube.com/watch?v=hvGUt2_SnjM nachgesehen werden.

Weitere Informationen zur UniNEtZ-Grundsatzerklärung und dem Optionenbericht finden Sie auf https://www.uninetz.at/beitraege/uninetz-grundsatzerklaerung

Kontakt:
Franz Fehr
Universität für Bodenkultur Wien
Rats-Vorsitzender des Projekts UniNEtZ
Email: franz.fehr@boku.ac.at
Telefon: 01 47654-10113