22.03.2022 - BOKU: Der Krieg in der Ukraine und die Konsequenzen für Agrarmärkte und die Versorgungssicherheit
Anlässlich der aktuellen Ereignisse lud das BOKU-Zentrum für Agrarwissenschaften und die Österreichische Gesellschaft für Agrarökonomie Agrarexperten zum Faktencheck - und um ihre Einschätzung der Situation.
Es wird eine Nachschau des Webinars geben, sobald diese verfügbar ist, finden Sie hier den Link.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine bedeutet nicht nur eine humanitäre Katastrophe für die ukrainische Bevölkerung, sondern hat weit über die Ukraine hinausgehende Folgen. So löst der Krieg eine ungekannte Fluchtbewegung in die angrenzenden Länder und in die gesamte Europäische Union aus. Gleichzeitig bewirken der Krieg und die als Reaktion beschlossenen internationalen Sanktionen gegen Russland einen erheblichen Preisanstieg vieler Rohstoffe.
„Der Krieg in der Ukraine ist auch für die Agrar- und Nahrungsmittelmärkte von erheblicher Bedeutung. So ist die Ukraine einer der weltweit wichtigsten Produzenten von Getreide und Ölsaaten. Gleichzeitig beeinflusst der Krieg aber auch erheblich die Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel“, so Jochen Kantelhardt, Leiter des BOKU-Zentrums für Agrarwissenschaften und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Agrarökonomie, „vor allem die in der Landwirtschaft eingesetzte Energie wird sich erheblich verteuern, ebenso die Preise von Düngemitteln, die unter hohem Energieeinsatz produziert werden“, so Kantelhardt. Der Krieg dürfte also auch im Nahrungsmittelmarkt zu steigenden Preisen führen. All diese Auswirkungen beträfen zahlreiche Länder und Märkte, darunter auch jene der Europäischen Union und somit auch Österreichs.
Nahrungsmittelimporteure massiv betroffen
Der Krieg in der Ukraine trifft ganz besonders jene Länder, die in hohem Maße auf Importe von Nahrungsmittel angewiesen sind. „Die weltweiten Preise für Nahrungsmittel steigen schon seit Monaten signifikant aufgrund der steigenden Energiekosten, regionalen Klimaauswirkungen und vor allem der unterbrochenen Lieferketten infolge der Covid-Pandemie. Die Preise sind höher als jene der Nahrungsmittelkrise 2007/2008. Damals führte dies zu sozialen und politischen Unruhen in Ägypten, Tunesien, Lybien, im Mittleren Osten und Mittelamerika“, analysierte Fritz Gattermayer, Lektor für Welternährungswirtschaft und Weltagrarmärkte vom Institut für Marketing und Innovation an der BOKU.
Die Ukraine gehört mit rund 33 Millionen Getreide und rund 17,5 Millionen Tonnen Ölsaaten zu den wichtigsten Exporteuren weltweit. Viele Länder des Nahen Ostens, in Afrika und in Asien sind in hohem Maße von Importen von ukrainischem Weizen abhängig wie z. B. der Libanon (50%), Lybien (43%), Jemen (22%), Indonesien (28%) oder Ägypten (14%). Der Russland-Ukraine-Konflikt verschärfe die angespannte Situation. Beide Länder entwickelten sich in den vergangenen 15 Jahren zu sehr wichtigen Exporteuren von Getreide, Ölsaaten, pflanzlichen Ölen und Futtermitteln.
„Ob und in welchem Ausmaß die Frühjahrsaussaat möglich sein wird, ist fraglich. Die bis jetzt von den Kriegshandlungen am meisten betroffenen Regionen stehen für rund 50% der Produktion von Sommergerste, 30 Prozent des Körnermaises und mehr als 40% der Sonnenblumen. Es wird in der Ukraine aufgrund der Kriegshandlungen nicht nur zu Problemen bei der Aussaat und Ernte kommen, sondern infolge der teilweise massiven Beschädigung der Lager- und Verladekapazitäten auch bei Transport und Logistik“, erwartet Gattermayer.
Agrarproduktion - Die Europäische Union bleibt wichtiger Faktor am Weltmarkt
„Für Österreich als Teil des EU-Binnenmarktes und wichtiger Produzent von hochwertigen Lebensmitteln sind vor allem die Entscheidungen auf EU-Ebene von Bedeutung“, betonte Christian Gessl, Leiter der Abteilung Marktordnungen und Marktinformation der AgrarMarktAustria (AMA). „Ein funktionierender Binnenmarkt erfordert ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb der Mitgliedsstaaten, um die Versorgung weiterhin sicherzustellen und den Anteil an der Belieferung der Weltmärkte zu festigen.“
Die EU ist viertgrößter Maisimporteur am Weltmarkt. „Zur Abdeckung des Defizites liefert die Ukraine jedes Jahr ca. 50% des benötigten Bedarfes an Mais“, so der AMA-Marktexperte. Hauptbetroffene Regionen seien vor allem die Iberische Halbinsel sowie die Baltischen Staaten. Die Schwachstelle am EU-Agrarmarkt stelle der Eiweißbedarf in der Fütterung dar. Ca. 14 Mio. Tonnen Sojabohnen sowie ca. 16 Millionen Tonnen Sojaschrot, welche alljährlich importiert werden, würden auf den geringen Selbstversorgungsgrad des EU-Marktes hinweisen. Der Pflanzenölmarkt sei ebenfalls stark betroffen. So würden beispielsweise 80% des benötigten Sonnenblumenöls aus der Ukraine importiert.
„Österreich befindet sich inmitten einer Überschussregion mit Getreideüberschüssen in Ungarn, Tschechien und der Slowakei“, so Gessl weiter. Diese Lage ermögliche den Ausbau einer starken Verarbeitungsindustrie sowie die Belieferung des italienischen Marktes mit Topqualitäten von österreichischem Weizen. Wesentliche Voraussetzung für den Warenaustausch bleibe weiterhin der uneingeschränkte Warenverkehr am EU-Binnenmarkt. „Daher ist vor allem die Entwicklung in Österreichs Nachbarstaaten in Hinblick auf die Versorgungslage sowie möglicher Vorsorgemaßnahmen von großer Bedeutung.“
Einschätzung der Konsequenzen für landwirtschaftliche Betriebe in Österreich
Wie landwirtschaftliche Betriebe in Österreich und der EU von dem Krieg in der Ukraine betroffen sind, analysierte Franz Sinabell vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Er rief dabei in Erinnerung, dass bereits im Jahr 2021 steigende Düngerkosten und teurere Energie zu hohen Produktionskosten geführt haben. Bessere Produkterlöse konnten nur in manchen Bereichen, vor allem im Marktfruchtbau erzielt werden. Am Ende verblieb von einem um 10% höheren Produktionswert ein Anstieg des realen landwirtschaftliche Einkommens pro vollzeitbeschäftigte Person von 3% gegenüber 2020. „Es ist zu früh, um Konsequenzen für die Einkommenslage zu schätzen, aber die noch stärker angestiegenen Kosten für Energie und Betriebsmittel zeigen, über welche Kanäle die Landwirtschaft bereits jetzt unmittelbar betroffen ist“, so der WIFO-Experte.