Die Silvretta ist eine Gebirgsgruppe in den zentralen Ostalpen. Im österreichischen Anteil erstreckt sich die größere Vergletscherung. (c) BOKU/Sandra Braumann

Sandra Braumann vom Institut für Angewandte Geologie erforscht gemeinsam mit ihren Kolleg*innen wie sensitiv Gebirgsgletscher auf Klimaerwärmung reagieren. Nun gelang ihr die feinauflösende Rekonstruktion der massiven Gletscherveränderungen im nördlichen Silvrettagebiet am Übergang der letzten Eiszeit in die Warmzeit. Dadurch können Erkenntnisse über die Funktionsweise des Klimasystems sowie lang- und kurzfristige Klimaschwankungen gewonnen werden.

Das Sichtbarmachen der Reaktion der Silvretta-Gletscher in der Vergangenheit zeigt, wie sich abrupte Klimaerwärmung auf die Eismassen in den Bergen auswirken. Am Ende der letzten Eiszeit geschah dies aufgrund der Änderung natürlicher Klimatreiber. „Jetzt provoziert der Mensch sogar noch schnellere Klimaveränderungen als die natürlichen Prozesse“, erklärt Sandra Braumann. Durch ihre Forschung und den Blick in die Vergangenheit wird ein Kontext für die Amplitude und das Tempo der aktuellen, menschengemachten Klimaerwärmung geboten.

Alpengletscher reagieren rasch auf Klimaänderungen. Sie dehnen sich aus, wenn das Klima kälter wird. In Warmphasen wiederum ziehen sie sich zurück. Dabei hinterlassen sie geomorphologische Spuren. Und genau diese untersucht Sandra Braumann gemeinsam mit ihren Kolleg*innen. Dazu nutzt die Forscherin eine besondere Methode: Sie sammelt Gesteinsproben von Moränen, das sind Sedimentwällen, die im alpinen Raum ehemalig stabile Eisränder anzeigen, und bereitet diese aufwändig auf. Das Expositionsalter ermittelte sie schließlich mithilfe einer radiometrischen Datierungsmethode. Diese beruht auf der Tatsache, dass hochenergetische kosmische Strahlung kontinuierlich auf die Erdoberfläche einwirkt. Dabei kommt es zu einer chemischen Reaktion im Gestein, wobei das Isotop Beryllium-10 im Quarzmineral entsteht. Sobald sich Eismassen also zurückziehen, werden frische Gesteinsoberflächen exponiert und es beginnt die Produktion des kosmogenen Nuklids gemäß einer bekannten Produktionsrate. Damit beginnt die innere Uhr des Gesteins zu ticken. „Durch die Extraktion von Beryllium-10 können Ablagerungsalter von Moränen bestimmt werden, was die zeitliche Einstufung von stabilen Eisrändern ermöglicht“, erklärt Braumann. „Obwohl ich schon längere Zeit mit dieser Methode arbeite, bin ich immer wieder überrascht, wie genau und feinauflösend das Gestein dadurch datiert werden kann“, so die Forscherin.

In Kooperation mit der renommierten Columbia University führte Braumann die gesamte Probenaufbereitung und -analyse in New York durch. Durch die Datierung stabiler Eisränder und deren geomorphologische Kartierung konnte sie schließlich die Gletschermassen räumlich rekonstruieren und feinauflösend zeigen, wie die Silvretta-Gletscher auf natürliche Klimaänderungen in den letzten 15.000 Jahren reagiert haben. Es gelang dem Forschungsteam sehr viele Datenpunkte in einem kleinen Gebiet zu gewinnen, was zu einer außergewöhnlich hohen Qualität der Rekonstruktion führt. Ermöglicht wurde dies auch durch die Förderung des Landesmuseum inatura in Dornbirn und ein DOC Stipendium der Akademie der Wissenschaften.

Die Studie ist aktuell im Fachmagazin Scientific Reports erschienen:
https://www.nature.com/articles/s41598-022-12477-x

Kontakt:
DI.in Dr.in Sandra M. Braumann
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Angewandte Geologie (IAG)
E-Mail: sandra.braumann(at)boku.ac.at
Tel.: +43 1 47654 87207

Mögliche Ausdehnung des Silvretta-Gletschers während (a) der Jüngeren Dryaszeit vor etwa 12.900 bis 11.700 Jahren, (b) dem frühen Holozän vor etwa 12.000 bis 10.000 Jahren, (c) um die Zeit vor 10.000 Jahren und während der Kleinen Eiszeit von 1250 bis 1850 n.u.Z. und (d) in den Jahren 2015/16 n.u.Z. (c) BOKU/Sandra Braumann