(c) Pixabay

Eine neue Studie von BOKU-Forscher*innen zeigt, dass der gesellschaftliche Kohlenstoffbestand im Anthropozän eine geologisch relevante Größe erreicht – Integration in zukünftige Bilanzierungen des globalen Kohlenstoffkreislaufs vorgeschlagen

Gesellschaftliche Aktivitäten verändern den globalen Kohlenstoffkreislauf tiefgreifend. Die Ansammlung von Kohlenstoff in der Atmosphäre treibt die globale Klimaerhitzung an und gefährdet das sichere Überleben auf diesem Planeten. Gleichzeitig akkumulieren menschliche Gesellschaften enorme Materialbestände, zum Beispiel in Gebäuden und Infrastrukturen. Dieser gesellschaftliche Kohlenstoffpool– also die gesamte Menge des in Materialbeständen enthaltenen Kohlenstoffs – wird derzeit als potentieller Kohlenstoffspeicher bzw. -senke diskutiert, da er Kohlenstoff langfristig binden und diesen somit von der Atmosphäre fernhalten kann.

In der soeben in Environmental Research Letters veröffentlichten Studie „Society's material stocks as carbon pool: An economy-wide quantification of global carbon stocks from 1900-2015“ präsentieren Forscher*innen des Instituts für Soziale Ökologie (SEC) der BOKU nun neue Erkenntnisse über die Entwicklung und globale Verteilung von Kohlenstoff in gesellschaftlichen Materialbeständen wie Gebäuden und Infrastrukturen.

Denn der Kohlenstoffgehalt der in Gebäuden und Infrastrukturen verwendeten Materialien ist unterschiedlich, somit hängt die gesamte Menge des in gesellschaftlichen Materialbeständen gespeicherten Kohlenstoffs davon ab, aus welchen Materialien (Holz, Papier, Beton, Stahl, Glas usw.) diese bestehen. „Die vorliegende Studie präsentiert eine umfassende Quantifizierung der gesellschaftlichen Kohlenstoffbestände, die angesichts der menschlichen Eingriffe in den globalen Kohlenstoffkreislauf sowie dem massiven Aufbau von Materialbeständen einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit der gegenwärtigen Klimakrise leistet“, erläuterte Erstautorin Lisa Kaufmann vom SEC die neuen Erkenntnisse.

Neue Berechnung

Bisher war nämlich nur wenig über die Größe, Zusammensetzung, Verteilung und Entwicklung der globalen sozioökonomischen Kohlenstoffbestände bekannt. Diese wurden in der Studie nun erstmals für den Zeitraum von 1900 bis 2015 berechnet, dabei wurde zwischen neun Weltregionen und insgesamt acht kohlenstoffhaltigen Komponenten (z.B. Holzprodukte, Plastik) unterschieden, wohingegen Materialien, die keinen Kohlenstoff enthalten (etwa Glas) nicht berücksichtigt werden mussten.

Der globale gesellschaftliche Kohlenstoffbestand wuchs demnach von 2,5 PgC* im Jahre 1900 um das 17-fache auf 42,0 PgC im Jahr 2015 an. Zu Beginn des 20. Jahrhundert fand man weniger als ein Viertel des in gesellschaftlichen Materialbeständen enthaltenen Kohlenstoffs (0,6 PgC) in inerten, anorganischen Verbindungen, aus denen der Kohlenstoff auch über lange Zeiträume gespeichert bleibt. Im Jahr 2015 betrug der Anteil des inerten Kohlenstoffs hingegen bereits fast zwei Drittel (25,2 PgC). Diese Kohlenstoffverbindungen, zum Beispiel in Schotter aus Kalkstein, sind nur in sehr langen (geologischen) Zeiträumen am globalen Kohlenstoffkreislauf beteiligt und für die Klimapolitik nicht unmittelbar relevant. Aktiver Kohlenstoff etwa aus Biomasse und fossilen Rohstoffen hingegen kann potentiell klimarelevant sein und wuchs im selben Zeitraum nur um das 9-fache von 1,9 auf 16,8 PgC. Zur Veranschaulichung: diese innerhalb von 115 Jahren akkumulierte Menge an Kohlenstoff entspricht nur etwa 4% der Kohlenstoffmenge, die für die Einhaltung des Paris-Zieles, die globale Erhitzung auf 1,5° zu begrenzen, bis 2100 der Atmosphäre entnommen werden müsste.

Das jährliche Netto-Wachstum der aktiven gesellschaftlichen Kohlenstoffbestände betrug im Jahr 0,49 PgC. Diese Kohlenstoffaufnahme steht aber der Freisetzung von 9,9 PgC aus fossilen Brennstoffen und industriellen Prozessen gegenüber; die Bindung von kurzfristig für die Atmosphäre relevanten Kohlenstoff entspricht daher nur etwa 5% der Emissionen aus Fossilenergie. Eine Erhöhung des jährlichen Netto-Wachstums von Biomasse-Komponenten, die Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden, wie zum Beispiel Holz oder Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, kann negative Wirkungen auf Ökosysteme, Biodiversität und die Ernährungssicherheit haben.

Ganzheitliche Perspektive bei CO2-Bilanzierung erforderlich

Die Schlussfolgerung der Forscher*innen, die gesellschaftlichen Kohlenstoffbestände in zukünftige Bilanzierungen des globalen Kohlenstoffkreislaufs zu integrieren, unterstreicht die Bedeutung einer ganzheitlichen Perspektive auf soziale und natürliche Kohlenstoffbestände, weil die Studie unter anderem aufzeigt, dass der globale gesellschaftliche Kohlenstoffbestand ein relevantes Ausmaß erreicht hat – nämlich etwa jene des in Küstenökosystemen gespeicherten Kohlenstoffes. Daher, so die Forscherinnen, sollten die gesellschaftlichen Kohlenstoffbestände in zukünftige Bilanzierungen des globalen Kohlenstoffkreislaufs integriert werden. „Die Studie zeigt zwar, dass der Beitrag der jährlichen gesellschaftlichen Kohlenstoffzuwächse zur Abschwächung der Klimaerhitzung in Anbetracht anhaltender CO2 Emissionen eher begrenzt ist; der gesamte gesellschaftliche Kohlenstoffbestand hat jedoch mit etwa 42 PgC im Jahr 2015 eine geologisch relevante Größe erreichte hat und kann als weiteres Merkmal des Zeitalters des Anthropozäns betrachtet werden“, betont Lisa Kaufmann abschließend.

*Die Abkürzung "PgC" steht für Petagramm Kohlenstoff. Ein Petagramm entspricht einer Billion (10^15) Gramm bzw. 1 Gt. PgC wird verwendet, um sehr große Mengen von Kohlenstoff zu messen, insbesondere in Bezug auf Kohlenstoffvorräte in der Atmosphäre, in Ozeanen oder in gesellschaftlichen Materialbeständen wie Gebäude oder Infrastrukturen.

Zur Studie:

https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ad236b

Wissenschaftlicher Kontakt:

Mag.a Lisa Kaufmann
Institut für Soziale Ökologie (SEC)
Universität für Bodenkultur Wien
+43 1 47654 – 73752
lisa.kaufmann(at)boku.ac.at