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Brasiliens rascher Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere von Wind- und Solarenergie, verspricht eine kostengünstige und kohlenstoffarme Stromerzeugung. Doch dieser Übergang birgt eine kritische Frage: Die Grüne Landnahme. Eine Studie der BOKU University zeigt, wie der Flächenbedarf dieser Energien den Zugang zu Land verändert und besonders traditionelle Gemeinschaften bedroht.

Brasilien baut rasant erneuerbare Energien aus, besonders Wind- und Solarenergie. Sie sind kostengünstige, kohlenstoffarme Stromquellen und wichtig, um die nationale Abhängigkeit von Wasserkraft zu verringern. Der Übergang zu Erneuerbaren erfordert jedoch einen beträchtlichen Flächenverbrauch, der verschiedene - potenziell negative - sozial-ökologische Auswirkungen mit sich bringt. Besonders dringlich ist dies im Nordosten Brasiliens, wo einerseits die geophysikalischen Bedingungen von permanenten, starken Passatwinden und überdurchschnittlicher Sonneneinstrahlung optimal sind. Andererseits sind dort die Landbesitz- und Landzugangsverhältnisse von großer Unsicherheit und Konflikten geprägt.

Als Teil des European Research Council (ERC) Forschungsprojektes reFUEL der BOKU University haben Michael Klingler und Johannes Schmidt mit den Kolleginnen Nadia Ameli und Jamie Rickman des University College London untersucht, warum die Entwicklung von Wind- und Solarenergie in Brasilien eine kritische Frage von Grüner Landnahme (green grabbing) ist. „Die kapitalintensive, großflächige Aneignung und Privatisierung von Land und Ressourcen wird in Brasilien meist mit Rinderzucht und Sojaanbau in Amazonien in Verbindung gebracht. Wir haben ähnliche land grabbing-Prozesse für Wind- und Solarenergie identifiziert und globale Daten zu Investitionen und Eigentumsverhältnissen in die Analyse miteinbezogen“, sagt Michael Klingler vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der BOKU Wien.

Die Herausforderung der Grünen Landnahme

Das Konzept der Grünen Landnahme betont in diesem Zusammenhang die Rolle von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen: In ihrem Namen wird eine umfassende Restrukturierung von Landzugang und -nutzung in Bewegung gesetzt. Dabei wird vor allem die Privatisierung von öffentlichem Land und Gemeingütern (commons) durch große Investitionen von sowohl nationalen als auch internationalen Akteuren der Green Economy begünstigt. Dies ist im Fall Brasiliens besonders problematisch, da die Landfrage von historischer Ungleichheit geprägt ist und Vorgänge illegaler Landaneigung und gewalttätiger Landkonflikte an der Tagesordnung stehen. Besonders betroffen sind kleinbäuerliche, indigene und traditionelle Gemeinschaften, die dieses Land historisch nutzen, deren Landbesitz aber aufgrund unzureichender Regulierung und fehlender Rechtssicherheit häufig nicht anerkannt wird. Die stark steigende Nachfrage nach erneuerbaren Energien birgt somit die Gefahr, dass sich der Wettbewerb um Land weiter verschärft und die Landkonzentration zugunsten lokaler Eliten und transnationaler Unternehmen weiter wächst.

Internationale Investitionen und Landprivatisierung

Die Ergebnisse der BOKU-Studie zeigen, dass globale Investoren und Eigentümer in Brasiliens Energiesektor stark vertreten sind. Sie sind im Beobachtungszeitraum 2001-2021 an einem überwältigenden Anteil von 78% der Windparks und 96% der Solarparks direkt oder indirekt beteiligt. Insgesamt werden für die Gewinnung von Windenergie 2.148 km2 bzw. 102 km2 Land für Solarstrom aus Photovoltaik beansprucht. Die Mehrheit der Windparks (89%) ist im Besitz brasilianischer Unternehmen, wobei diese zu 68% ausländischen Muttergesellschaften angehören. Sie sind somit Tochtergesellschaften internationaler - vorwiegend europäischer - Konglomerate. Im Detail steht mehr als die Hälfte der gesamten Windparkfläche mit europäischen Muttergesellschaften in Verbindung, vor allem große Unternehmen wie Enel SpA (Italien) und Engie SA (Frankreich) spielen eine zentrale Rolle. Bei Solarparks ist der Anteil internationaler Beteiligung noch höher: 90% der Flächen werden nicht brasilianischen Muttergesellschaften zugeordnet, davon entfallen 66% auf europäische. Alleine bei 30% der gesamten Solarparkfläche ist Enel Green Power SpA (Italien) direkt oder indirekt involviert.

„Wir haben zudem festgestellt, dass die Privatisierung von Land der wichtigste Mechanismus ist, um den Zugang zu und die Kontrolle über Land zu sichern. Dies impliziert tiefgreifende Veränderungen von Landbesitz- und Landzugangsverhältnissen, die insbesondere zu Lasten der rechtlichen Anerkennung von ländlichen Gemeingütern wie Allmenden und traditionellen gemeinschaftlichen Landnutzungsrechten gehen. In anderen Fällen werden Windparks direkt auf Flächen mit unklaren Besitzverhältnissen gebaut: 7% liegen auf rechtlich nicht ausgewiesenen öffentlichen Land, 28% weisen lediglich einen Eintrag im Umweltkataster ohne gültigen Landbesitztitel vor“, so Klingler.

Mit Brasiliens Ambitionen, die Produktion von grünem Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und Gasen für den Export zu steigern, wird sich der Druck auf den Wettbewerb um Land weiter verstärken. „Ein Mitglied einer traditionellen Gemeinschaft im Nordosten Brasiliens hat das in einem Workshop so formuliert: ‘Saubere Energien mit schmutzigen Methoden’. Weil europäische Firmen so stark in die brasilianische erneuerbare Energieproduktion involviert sind, und weil Brasilien Ambitionen hat, grünen Wasserstoff zu erzeugen und nach Europa zu verschiffen, sind die ‘schmutzigen Methoden’ aber nicht nur eine nationale Angelegenheit, sondern betreffen uns hier in Europa ebenfalls“, so Ko-Autor Johannes Schmidt.

Herausforderungen und Chancen für eine nachhaltige Energiewende

Die Grüne Landnahme für erneuerbare Energien bleibt folglich ein anhaltendes, kritisches Phänomen, das Transparenz und kontinuierliche Überprüfung erfordert, um die negativen Auswirkungen insbesondere auf traditionelle Gemeinschaften wie die Comunidades de Fundo e Fecho de Pasto oder Quilombola zu begrenzen. Klingler führt in diesem Zusammenhang weiter aus: „Die Landfrage ist zentral, um wirksame Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben und gerechte kohlenstoffarme Energiepfade zu fördern. Die Notwendigkeit der Energiewende darf nicht in Frage gestellt werden, sondern die Art und Weise, wie diese Projekte implementiert werden. Die Zusammenarbeit mit betroffenen ländlichen Gemeinden, NGOs und Wissenschaftler*innen im brasilianischen Bundesstaat Bahia zeigte, dass traditionelle und marginalisierte Bevölkerungsgruppen durch den Ausbau von erneuerbaren Energien mit ‘neuen’ Landkonflikten konfrontiert sind. Diese werden aber zunehmend durch den Klimaschutz-Imperativ legitimiert. Ähnlich verhält es sich beispielsweise in Norwegen, wo der Ausbau der Windkraft im Konflikt mit der traditionellen Rentierhaltung der indigenen Sámi steht.“

Der Artikel wurde heute im Journal "Nature Sustainability" veröffentlicht und ist unter dem folgenden Link verfügbar: https://www.nature.com/articles/s41893-024-01346-2

Wissenschaftlicher Kontakt:
Mag. Dr. Michael Klingler
BOKU University
Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
Email: michael.klingler(at)boku.ac.at
Telefon: +43 1 47654 73118