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Das Vorhaben REMASS (Resilience and Malleability of Social Metabolism) wurde vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) mit einer Förderung in Höhe von 7,1 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre ausgezeichnet. Ein bedeutender Meilenstein für das neue Forschungsfeld, das von Wissenschafter*innen der Wirtschaftsuniversität Wien, dem Complexity Science Hub, der IIASA, der Universität Wien und der Central European University Vienna unter Federführung der BOKU University getragen wird.

Die rasch zunehmende Nutzung natürlicher Ressourcen trägt zur Erderhitzung bei, während aktuelle Krisen wie Kriege, Pandemien und Klimaextreme die globalen Lieferketten gefährden. Doch wie beeinflussen diese Krisen die Ressourcennutzung, Nachhaltigkeit, Ungleichheit und das gesellschaftliche Wohlergehen? REMASS hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Fragen mithilfe innovativer Ansätze zur Erforschung des gesellschaftlichen Stoffwechsels zu beantworten – dazu gehören die Analyse von Ressourcenflüssen, Materialbeständen (z.B. in Gebäuden und Infrastrukturen) sowie deren Beitrag zur Gesellschaft.

„In unserer Forschung untersuchen wir die Resilienz der Ressourcennutzung und Möglichkeiten für eine nachhaltigere Gestaltung. Vielleicht entdecken wir sogar Kipppunkte hin zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit?“, so Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie an der BOKU und Koordinator von REMASS. Diese Erkenntnisse werden einen wichtigen Beitrag zu internationalen Bewertungen leisten, die Wissenschaft und Politik zusammenbringen, wie beispielsweise dem International Resource Panel der Vereinten Nationen und dem Intergovernmental Panel on Climate Change.

REMASS wird eine hochauflösende Datenbasis zum gesellschaftlichen Stoffwechsel schaffen. Damit wird es möglich, Big-Data-Ansätze aus der Komplexitätsforschung zu nutzen, um die Resilienz des Stoffwechsels gegenüber Störungen in den Lieferketten zu quantifizieren. Das Projekt analysiert die Gestaltbarkeit der Ressourcennutzung und des sozialen Wohlergehens in drei wichtigen Versorgungssystemen: Ernährung, Wohnen, Mobilität - und identifiziert zentrale Akteure, Entscheidungsprozesse und Machtstrukturen.

Datenbanken zu gesellschaftlichem Stoffwechsel

Ein zentraler Aspekt in REMASS ist das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels. Gesellschaften organisieren einen Fluss von Materialien und Energie, die aus der Umwelt entnommen und zu unterschiedlichen Produkten verarbeitet und oft weltweit gehandelt werden. Diese Produkte werden entweder als Nahrung oder als Energieträger konsumiert oder in Strukturen wie Gebäuden oder Fahrzeugen akkumuliert. Schlussendlich kehren alle Materialien als Abfälle oder Emissionen zurück in die Umwelt. "Dieser Stoffwechsel ist entscheidend für die Bereitstellung von Mobilität, Ernährung und Wohnen. Gleichzeitig ist er aber auch die Ursache für globale Umweltprobleme wie den Klimawandel oder das Artensterben", erklärt Fridolin Krausmann von der BOKU.

REMASS arbeitet an der Entwicklung einer globalen Datenbank zum gesellschaftlichen Stoffwechsel mit bisher unerreichter räumlicher und produktbezogener Genauigkeit. „Dank dieser Daten können wir den Weg der Ressourcen entlang globaler Wertschöpfungsketten verfolgen: von der Rohstoffgewinnung über die Akkumulation in Gebäuden und Infrastrukturen bis hin zu Abfällen und Emissionen, oder sogar der Rückgewinnung durch Recycling“, erläutert Stefan Giljum von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Diese neu geschaffene Datengrundlage ermöglicht es erstmals, die Krisensicherheit globaler Lieferketten zu untersuchen und zu erforschen, wie Versorgungssysteme klima- und ressourcenschonend gestaltet werden können.

Resilienz von Lieferketten und Komplexitätsforschung

"Ein Fokus unserer Forschung liegt darauf zu gewährleisten, dass die Grüne Wende auch in turbulenten Zeiten voranschreitet, selbst wenn es zu Unterbrechungen wie Produktionsausfällen kommen sollte", erklärt Stefan Thurner vom Complexity Science Hub (CSH). Die Wissenschaftler werden dazu Daten über Materialbestände und Ressourcenflüsse mit Handels- und Produktionsnetzwerken verknüpfen, um ein umfassendes Netzwerk zu schaffen, das die sozioökonomischen Verbindungen unserer Gesellschaft abbildet. Innerhalb dieses Netzwerks können sie die Widerstandsfähigkeit gegenüber spezifischen Störszenarien sowie Transformationsprozessen modellieren.

Wie wirkt sich beispielsweise ein Wechsel von Beton zu Holz in der Bauindustrie auf den gesellschaftlichen Stoffwechsel aus? Welche Auswirkungen hat eine Reduzierung des Fleischkonsums auf das System? Und welche Konsequenzen hat der steigende Bedarf an Lithium durch die E-Mobilität für andere Sektoren? „Unser Ziel ist es, mithilfe von Methoden der Komplexitätsforschung herauszufinden, welche Faktoren zu einem Zusammenbruch des Systems führen können – sprich: Welche Ereignisse müssen eintreten, damit ein Kipppunkt erreicht wird, an dem sich Produktionsnetzwerke plötzlich und unkontrolliert verändern, mit entsprechend unkontrollierbaren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Und natürlich: Wie können wir dem vorbeugen?", so Thurner.

Politische Ökologie und Gestaltungsmöglichkeiten von Versorgungssystemen

Im Rahmen dieses Pionierprojekts wird untersucht, wie sich die Ressourcennutzung über Zeit, Raum und Bevölkerungsgruppen hinweg, insbesondere in Krisensituationen, verändert und welche Auswirkungen dies auf die Verteilung des Wohlbefindens hat. „Unser Ziel ist es, eine solide wissenschaftliche Grundlage zu schaffen, um wirksame Reaktionen auf Störungen zu identifizieren, die als Hebel für die Förderung fairer und nachhaltigerer Produktions-, Handels- und Konsummuster dienen können“, so Shonali Pachauri, International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA).

REMASS verbindet die Analyse von Ressourcenflüssen und Materialbeständen sowie deren ökologische Auswirkungen mit einem Blick auf Versorgungssysteme und die Ungleichheiten innerhalb dieser Systeme. „Es ist von großer Bedeutung, die Gestaltung von Versorgungssystemen im Kontext von Störungen und Krisen zu verstehen, was eine Betrachtung der wesentlichen Akteure, ihrer Interessen, Entscheidungsprozesse und Machtverhältnisse erfordert“, betont Cornelia Staritz von der Universität Wien. Dafür werden drei Versorgungssysteme, die entscheidend für Nachhaltigkeit und gesellschaftliches Wohlergehen sind – Ernährung, Wohnen und Mobilität – anhand von sechs Fallstudien und zentralen Orten im Globalen Norden und Süden untersucht. „Die neu geschaffene Datengrundlage ermöglicht es, zu untersuchen, wie diese drei grundlegenden Versorgungssysteme nachhaltiger und sozial gerechter gestaltet werden können sowie die Auswirkungen von Lieferkettenstörungen auf Transformationsprozesse und Ungleichheiten auf verschiedenen Ebenen (Geografie, Einkommen, Geschlecht, Ethnie usw.) zu analysieren“, erklärt Anke Schaffartzik von der Central European University.


REMASS-Team

Helmut Haberl, Institut für Soziale Ökologie, BOKU University

Fridolin Krausmann, Institut für Soziale Ökologie, BOKU University

Stefan Giljum, Institute for Ecological Economics, Wirtschaftsuniversität Wien (WU)

Stefan Thurner, Science of Complex Systems, Complexity Science Hub (CSH) und MedUni Wien

Shonali Pachauri, Energy, Climate, and Environment (ECE) Program, International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA)

Cornelia Staritz, Institut für Internationale Entwicklung, Universität Wien

Anke Schaffartzik, Social & Political Ecology, Central European University (CEU)

 

Kontakt
Univ.Prof. Mag. Dr. Helmut Haberl
BOKU University
Institut für Soziale Ökologie
Email: helmut.haberl(at)boku.ac.at
Telefon: +43 699 19130591