Diese bahnbrechende Entdeckung eröffnet neue Perspektiven für die Biomedizin und könnte das Verständnis der Glykane im gesunden und erkrankten Organ vertiefen.

Glykane sind Kohlenhydrate, in die jede unserer Zellen eingehüllt ist. Einige besonders wichtige Glykane in unserem Körper sind an Proteine gebunden, was es den Zellen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und lebenswichtige Prozesse in unseren Organen zu koordinieren. Allerdings ist bislang wenig darüber bekannt, wie vielfältig diese Glykane in einem komplexen Organismus tatsächlich sind und wie stark sie sich zwischen den einzelnen Organen unterscheiden.

Ein Forschungsteam der BOKU, MedUni Wien und des Instituts für molekulare Biotechnologie (IMBA) hat in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsjournals Nature Communications einen Artikel veröffentlicht, der eine neuartige und skalierbare Methode vorstellt und faszinierende neue Einblicke in die Glykobiologie ermöglicht. Das Ziel der Wissenschaftler war herauszufinden, ob es tatsächlich strukturelle Unterschiede zwischen den Glykanketten gibt, die beispielsweise die Leber formen, und jenen, die das Gehirn prägen – und falls ja, wie groß diese Unterschiede sind.

Innovative Datenauswertung

Diese Fragestellung wurde am Säugetiermodell der Maus untersucht, wobei 20 verschiedene Gewebe der Maus nach den höchsten Standards der Glykoanalytik analysiert wurden. Dabei hatten die Wissenschaftler anfangs allerdings völlig unterschätzt, wie umfangreich die dabei generierten Datenmengen sein würden. „Wir mussten zunächst eine völlig neue Art der Datenauswertung entwickeln, um die Analyse bewältigen zu können. Tatsächlich gelang es uns, einen Prozess, der normalerweise viele Monate dauern könnte, in wenigen Wochen durchzuführen“, erklärt Stefan Mereiter von der MedUni Wien und dem IMBA. Das Spannendste an dieser neuen Herangehensweise war jedoch: Im Gegensatz zu herkömmlichen, manuellen Analysen konnte die Methode selbst unerwartete Glykanstrukturen automatisch erkennen und charakterisieren.

Überraschende Entdeckungen zur Vielfalt der Glykane

„Durch die Zusammenarbeit zwischen der BOKU, der MedUni Wien und dem IMBA ist es uns gelungen, modernste Glykananalytik, innovative Datenanalyse-Methoden und ein tiefes Verständnis von Anatomie und Physiologie zu vereinen und so die bislang detaillierteste Kartierung der Glykane in einem Säugetier zu erstellen“, freut sich Johannes Stadlmann vom Institut für Biochemie der BOKU. In seinem Labor werden neue Methoden für die Glykoproteomik und Glykananalyse entwickelt und Glykoproteine erforscht, um deren komplexe Rolle in zahlreichen biologischen Prozessen besser zu verstehen.

„Das Verständnis der Glykoproteomik ist entscheidend, um die wahre Komplexität biologischer Systeme zu entschlüsseln und könnte zu Durchbrüchen in der biomedizinischen Forschung führen“, so Stadlmann. „Dass Glykane komplexe Biomoleküle sind, war uns bewusst. Doch wie unglaublich vielfältig diese Strukturen in einem einzigen Organismus sein können, hat uns alle überrascht“, ergänzt sein Instituts-Kollege Johannes Helm.

Die Daten zeigen, dass jedes Gewebe völlig einzigartige Glykosylierungsmuster aufweist und somit dabei helfen, die Unterschiede zwischen den Organen besser zu verstehen. „Darüber hinaus haben wir völlig unerwartete Glykane entdeckt, darunter besondere Strukturen, die ausschließlich im Gehirn vorkommen“, erklärt Stadlmann. 

Diese neu entwickelte Methode enthüllt eine bisher unerkannte molekulare Vielseitigkeit und eröffnet neue Möglichkeiten, um die komplexe Rolle der Glykane sowohl im gesunden als auch im erkrankten Organ besser zu verstehen.

Link zur Publikation “Non-targeted N-glycome profiling reveals multiple layers of organ-specific diversity in mice”: https://doi.org/10.1038/s41467-024-54134-z

Autoren: Johannes Helm, Stefan Mereiter, Tiago Oliveira, Anna Gattinger, David M. Markovitz, Josef M. Penninger, Friedrich Altmann, Johannes Stadlmann.

Wissenschaftlicher Kontakt
Ass.Prof. DI Dr. Johannes Stadlmann
BOKU University
Institut für Biochemie
Email: j.stadlmann(at)boku.ac.at
Telefon: +43 1 47654-77256