Konrad Lorenz, Nobelpreisträger, Pionier der vergleichenden Verhaltensforschung und späterer Umweltschützer, ohne den wohl das Wasserkraftwerk Hainburg gebaut und das Atomkraftwerk Zwentendorf ans Netz gegangen wären. Es gab aber auch jenen Konrad Lorenz, der sich an die NS-Ideologie angebiedert hatte und 1940 offen forderte, dass die „Rassenpflege auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein müßte, als sie es heute schon ist […].“

In ganz Österreich tragen Institutionen und Straßen seinen Namen, wie auch die Konrad-Lorenz-Straße in Tulln, in der einer der BOKU-Standorte liegt. Am 11. November 2024 präsentierten BOKU-Rektorin Eva Schulev-Steindl und Bürgermeister Peter Eisenschenk gemeinsam mit dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb in Tulln eine Zusatztafel am Straßenschild, die auf jene Abschnitte in der Biografie von Lorenz hinweist, die er selbst Zeit seines Lebens auszublenden versucht hatte.

Bei der Verleihung des Nobelpreises in Stockholm 1973 hatte er zwar bedauert, sich in seinen Publikationen an die nationalsozialistische rassistische Terminologie angepasst zu haben, nachdem dies im Vorfeld thematisiert worden war. Begründet hatte er dies mit Naivität sowie seinem wissenschaftlichen Einsatz für die Evolutionstheorie. Unter dem katholisch geprägten Dollfuß-Schuschnigg-Regime in Österreich hätte Lorenz keine wissenschaftliche Karriere machen können, im Gegensatz zu Deutschland, wo die Nationalsozialisten der Evolutionstheorie gegenüber aufgeschlossen waren. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verweigerte Lorenz jedoch bis an sein Lebensende und ebenso verschwieg er seine Mitgliedschaft bei der NSDAP seit 1938.

Um dieser Widersprüchlichkeit der Person Konrad Lorenz – einerseits wegweisender, visionärer Wissenschaftler, andererseits opportunistischer Vertreter der NS-Ideologie – Rechnung zu tragen, haben die BOKU University und die Stadtgemeinde Tulln gemeinsam bei Zeithistoriker Oliver Rathkolb ein Gutachten in Auftrag gegeben. 

„Wir als BOKU sehen uns in der Verantwortung alle Aspekte der NS-Vergangenheit unserer Universität aufzuarbeiten. Daher war es uns auch ein Anliegen, gemeinsam mit der Stadtgemeinde die persönliche Geschichte von Konrad Lorenz und seine Nähe zum Nationalsozialismus an unserem Standort in Tulln in einen zeithistorischen Kontext zu setzen“, betont BOKU-Rektorin Eva Schulev-Steindl.

Peter Eisenschenk, Bürgermeister der Stadtgemeinde Tulln: „Fundiertes Wissen um die NS-Vergangenheit Österreichs ist sehr bedeutend dafür, eine solche Gesinnung nicht wieder aufkeimen zu lassen. Diese Absicht sowie die eindrucksvollen wissenschaftlichen Leistungen von Konrad Lorenz waren ausschlaggebend für uns, die Straße nicht umzubenennen, sondern vor Ort Informationen bereitzustellen, und daraus Lehren zu ziehen.“

Insgesamt beurteilt habe sich Konrad Lorenz „intensiv und öffentlich in seinen Publikationen eng an die nationalsozialistische rassistische Terminologie angepasst und die staatlichen rassistischen bekannten Gesetze durchaus nicht nur akzeptiert, sondern vom Prinzip her gutgeheißen– viel klarer übrigens als manch andere Wissenschaftler in seinem Fachbereich“, schreibt Rathkolb in seinem Gutachten. 

„Gerade eine selbstkritische Wissenschaftskultur sollte sich bei herausragenden Persönlichkeiten von der Vorstellung des traditionellen Geniekults verabschieden, und – wie auch im konkreten Fall des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz – die politischen Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Arbeit offen ansprechen und ohne Tabus hinterfragen. Nur mit einer differenzierten biographischen und wissenschaftshistorischen Analyse und Bewertung sollte an ihre bahnbrechenden Leistungen für die internationale Forschung erinnert werden. Selbst Nobelpreisträger können widersprüchliche Persönlichkeiten sein“, erklärt Rathkolb abschließend. 

Unter diesem Link finden Sie Fotos, den Text der Zusatztafel sowie das Gutachten von Prof. Rathkolb:

https://bokubox.boku.ac.at/#9db0a33e8b0cc5edda676586ff8e4473

Credit: BOKU University/Jakob Vegh

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