05.11.2025 - Moderate Aufstockung globaler Materialbestände in Gebäuden, Infrastruktur und Maschinen könnte weltweiten Lebensstandard sichern
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Eine neue Studie der BOKU University, veröffentlicht in Nature Sustainability, zeigt: Bereits eine Steigerung der weltweiten Materialbestände um rund zwölf Prozent würde ausreichen, um allen Menschen einen menschenwürdigen Lebensstandard zu ermöglichen – vorausgesetzt, die vorhandenen Ressourcen werden gerechter verteilt.
Wie viel Beton, Stahl oder Holz braucht es, damit jede:r auf der Erde Zugang zu angemessenem Wohnraum, Mobilität, Bildung, Gesundheit und anderen grundlegenden Bedürfnissen hat? Weniger, als vielfach angenommen. Das belegt die Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Jan Streeck vom Institut für Soziale Ökologie der BOKU.
Demnach genügt eine moderate Erhöhung der in Gebäuden, Infrastrukturen und Maschinen gebundenen Materialien, um die sogenannten Decent Living Standards weltweit zu sichern. Diese umfassen das notwendige materielle Fundament für ein Leben in Würde - etwa Wohnraum, Mobilität, Ernährung, Bildung, Gesundheit, Wasser - und Sanitärversorgung sowie Kommunikation. „Ein würdiges Leben für alle ist kein ökologischer Luxus“, betont Studienautor Streeck.
Weniger Überfluss, gerechtere Verteilung
Milliarden Menschen fehlt bis heute die materielle Grundlage für einen würdigen Lebensstandard. Fast jede:r Zehnte lebt von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag, und noch viele mehr haben keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur - etwa zu sicherem Wohnraum, funktionierender Mobilität oder sanitären Einrichtungen. Besonders in Subsahara-Afrika und Teilen Asiens mangelt es an essenziellen physischen Strukturen, die für die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse notwendig sind.
Gleichzeitig konzentrieren sich die weltweiten Materialbestände in den wohlhabenden Ländern - häufig weit über das Maß hinaus, das für die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse erforderlich wäre. Überdimensionierte Wohnflächen, ressourcenintensive Mobilität und hoher Energieverbrauch sind Ausdruck dieses Überflusses. Mehr als 70 Prozent der global angesammelten Materialien dienen heute Zwecken, die über das Minimum für ein menschenwürdiges Leben hinausgehen.
„Unsere Analysen zeigen: Global gesehen ist nicht der Mangel an Infrastruktur das Problem, sondern ihre ungleiche Verteilung“, erklärt Streeck. „Wenn sich der globale Norden stärker auf Suffizienz, Effizienz und gerechte Verteilung im eigenen Land konzentriert, könnten Ressourcen freigesetzt werden, um nachhaltige Entwicklung dort zu fördern, wo sie am dringendsten gebraucht wird.“
Ressourcenschonenderer Wohlstand für alle ist möglich
Für ihre Studie kombinierten die Forschenden umfangreiche Datensätze zur Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse, zu globalen Materialbeständen und zu Bauaktivitäten. Damit konnten sie erstmals abschätzen, wie groß die bestehenden Materiallücken für ein würdiges Leben für alle sind - und wie schnell sie geschlossen werden könnten. Das Ergebnis ist ermutigend: Selbst bei gleichbleibendem globalen Bautempo ließe sich bis 2030 ein menschenwürdiger Lebensstandard für alle erreichen - vorausgesetzt, der Materialaufbau konzentriert sich gezielt auf notwendige Investitionen und fließt nicht weiterhin in übermäßigen Konsum oder überdimensionierte Infrastrukturen.
„Wenn sich dagegen das bisherige Muster ungleicher Verteilung fortsetzt und ein Großteil der Materialien weiterhin in übermäßigen Verbrauch in reichen Ländern fließt, könnten sich die globalen Materialbestände in Infrastrukturen mehr als verdoppeln. Das würde nicht nur die Klimaziele, sondern auch eine nachhaltige Entwicklung gefährden“, warnt Streeck.
Sein Fazit: „Der Aufbau von Materialbeständen sollte sich zunächst auf die Deckung grundlegender Bedürfnisse für alle konzentrieren. Danach braucht es eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie viel darüber hinaus wirklich wünschenswert ist - und für wen.“
Publikation „Small increases in material stocks to achieve decent living standards globally“ in Nature Sustainability, DOI ist 10.1038/s41893-025-01670-1
Wissenschaftlicher Kontakt
Dr. Jan Streek, MSc.
Soziale Ökologie
Email: jan.streeck(at)boku.ac.at
Telefon: +43 1 47654-73742