Bei der Tagung an der Universität für Bodenkultur Wien waren sich Fachleute einig: Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur bedeute nicht ein „zurück auf die Bäume!“

Vergangenem Montag fand an der Universität für Bodenkultur Wien eine Fachveranstaltung zum aktuell brisanten Thema Nature Restauration Law statt, organisiert vom Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung der BOKU gemeinsam mit der österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur. Unter den Teilnehmenden waren Vertreter und Vertreterinnen der Bundesministerien, der Landesregierungen und der Landesumweltanwaltschaften, Fachleute aus Großstädten wie München, Salzburg und Wien, Experten und Expertinnen vom Umweltbundesamt, österreichischer Universitäten, der Bundesanstalt für Wald, Interessensvertretungen der Land- und Forstwirtschaft und der Umweltverbände sowie zahlreiche Planungsbüros und Beratungseinrichtungen im Bereich der Landnutzung.

Integrierte Betrachtung diverser Landnutzungen

Im sogenannten „Trilog“ zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission kam es am 9. November zu einer Einigung, der ein Meilenstein im europäischen Naturschutz werden könnte, müssen doch die Mitgliedsstaaten dazu beitragen, bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederherzustellen. Ulrike Pröbstl-Haider, Initiatorin der Fachtagung und Leiterin des Instituts für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung an der BOKU führte anhand von Fallbespielen in die Konzeption des Nature Restauration Laws (NRL) ein: „Betrachtet man die Vorgaben im Hinblick auf Moorgebiete in Österreich, dann müssen von den bestehenden 17.100 ha mit einem beeinträchtigten Wasserhaushalt bis 2050 90 %, d.h. 15.400 ha wiedergestellt sein.“ Zudem stellte sie den - im Vergleich zu der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie aus dem Jahr 1992 – breiten Ansatz des NRLs vor, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Schutz von Arten- und Lebensräumen im Verbund mit Energievorsorge, Klimawandelfolgen, Siedlungsräumen, forstlichen und landwirtschaftlichen Belangen integrativ zu entwickeln. Darüber hinaus werden auch messbare und wirksame Maßnahmen eingefordert, die sich zum Beispiel im Feldvogel-Index, dem Graslandschmetterlings-Index, dem Waldvogel-Index oder der positiven Entwicklung bei den Bestäuberarten widerspiegeln, so Pröbstl-Haider.

Effiziente und messbare Schutzziele

Thomas Elmauer vom Umweltbundesamt betonte die enge Verbindung des NRL mit der FFH-Richtlinie. Er beschrieb mit Hilfe von Kennzahlen des Umweltbundesamtes die aktuell defizitäre Umsetzung der FFH-Richtlinie in Österreich und anderen EU-Mitgliedstaaten, wo zaghaften Erfolgen des EU-Naturschutzes leider auch ein Stagnieren bzw. teilweise sogar eine weitere Verschlechterung der ungünstigen Erhaltungszustände von Arten und Lebensräumen gegenüberstehen. „Das Naturschutzgesetz ist eine große Chance, die Schwächen der FFH-Richtlinie zu adressieren und zu einem effizienten Schutz zu kommen.“ Elmauer wies jedoch auch auf Unklarheiten insbesondere im Bereich des Artenschutzes hin. „Es wäre zu beachten, dass das NRL bei Beschluss auch eine unmittelbare Wirkung besitzen sollte und nicht erst, wie die FFH- und Vogelschutzrichtlinie, in nationales Recht implementiert werden muss.“ Wenn das NRL als EU-Verordnung verabschiedet wird, bestehe rascher Handlungsbedarf.

Flächenbedarf in der Agrarlandschaft

Rainer Oppermann vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität (ifab) in Mannheim widmete seinen Vortrag dem Restaurierungsbedarf, der durch die veränderte landwirtschaftliche Nutzung entstanden ist und beschrieb die Einflussfaktoren für den Artenverlust in der Feldflur. Bei der maschinellen Ausstattung der Betriebe, der Schlaggröße oder der Bewirtschaftungsform (wie zum Beispiel Nachsaaten zur Gründüngung) könne das Rad nicht mehr zurückgedreht werden. „Auf Grundlage meiner Forschungen gehe ich in der Agrarlandschaft von einem Bedarf von mindestens 15 Prozent an naturnahen Flächen aus, die sich aus Maßnahmen auf den bewirtschafteten Feldern (in-crop) und zusätzlichen Flächen (off-crop) wie Ackerrandstreifen, Feldgehölzen oder Hecken zusammensetzten.“

Strategien für Klima- und Biodiversitätsschutz und intakte Ökosysteme

Vor dem Hintergrund der globalen Klimakrise, die eng mit der Biodiversitätskrise gekoppelt ist, hoben Rafaela Schinegger und Verena Radinger-Peer (beide BOKU) die Bedeutung intakter Ökosysteme und deren Ökosystemleistungen für die Gesellschaft heraus: „Die integrative Sichtweise, wie sie das NRL erfordert, muss bei der örtlichen Raumplanung eine besondere Beachtung finden.“ Sie kritisierten die bisherigen Regelungen in Naturschutz- und Raumplanungsgesetzgebung in den Bundesländern. Die Ebene einer eigenständigen kommunalen und regionalen Landschaftsplanung zur Entwicklung geeigneter Strategien fehle. „Für die Umsetzung der Biodiversitäts- und Renaturierungsziele ist eine nationale Koordinationsstelle mit ausreichendem Budget dringend erforderlich“, so Schinegger. Aufbauend auf bereits vorhandenen Strukturen wie den Klimawandel-Anpassungsmodellregionen (KLAR!) oder den Klima- und Energie-Modellregionen (KEM) könnten effektive Maßnahmen ergriffen und integrierte Lösungen erarbeitet werden.

Leitbilder für eine integrierte Entwicklung

Thomas Knoll, Landschaftsplaner aus Wien, kritisierte die bislang erzielten Ergebnisse im Naturschutz am Beispiel der Natura 2000-Managementplanung - einem Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union, das seit 1992 nach den Maßgaben der FFH-Richtlinie errichtet wird. „Generell sind wirksame Maßnahmen vielfach nur durch Ausgleichmaßnahmen von Großvorhaben erfolgt“, so Knoll. Die Ansprüche an die Landschaft oder die Möglichkeiten der Gewinnung von erneuerbarer Energie seien sehr unterschiedlich. „Es kommt darauf an, integrative Leitbilder zu entwickeln, bei denen der lokale Renaturierungsbedarf mit anderen Nutzungen, sozialen und wirtschaftliche Belangen definiert wird.“

Aufwand für Renaturierung am Beispiel Wildblumensaatgut

Im Hinblick auf bestäubende Arten für Wildblumen als Grundlage für artenreiche Dauerwiesen stehen bereits geeignete Saatmischungen zur Verfügung. „Es bedarf jedoch eines enormen Aufwands, um geprüftes und zertifiziertes Saatgut dafür zu produzieren“, betonte Christian Tramegger von Saatbau Kärnten. Damit wird nicht nur der Aufwand deutlich, der für eine Renaturierung erforderlich ist, sondern auch der Wert der Erhaltung artenreicher Bestände unterstrichen.

Kommunikation, Freiwilligkeit und Förderung

Fabiana Scheibenreif von der Landwirtschaftskammer Österreich und Katharina Liball vom Ökosozialen Forum Österreich & Europa betonten die Notwendigkeit, das NRL angemessen zu kommunizieren: „Die Bereitschaft zum Umwelt- und Klimaschutz ist in der Land- und Forstwirtschaft zweifelsfrei vorhanden. Bei vielen Inhalten der Verordnung gibt es derzeit aber noch offene Fragen zu den konkreten Auswirkungen auf die Landnutzung.“ Ein faktenbasierter sachlicher Diskurs auf Augenhöhe sei ebenso notwendig, wie ein partizipativer Prozess unter Einbindung der Betroffenen bei der Entwicklung entsprechender Fachpläne. Im Mittelpunkt der Umsetzung solle eine freiwillige Beteiligung der Grundstückseigentümer stehen. Darüber hinaus sei eine angemessene Finanzierung von Wiederherstellungsmaßnahmen erforderlich.

Restauration der Natur versus Ernährungssicherheit

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion widmete man sich zu Beginn dem Argument, dass durch das NRL die Ernährungssicherheit in Österreich gefährdet sein könnte.  Arno Aschauer vom WWF Österreich stellte in diesem Zusammenhang klar, dass im Hinblick auf die Ernährungssicherheit es nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Verteilung der Nahrungsmittel sowie den Lebensstil einschließlich der Ernährungsgewohnheiten unserer Gesellschaft ankomme. „In diesem Zusammenhang muss man sich klar machen, dass nicht der Planet einer wachsenden Bevölkerung angepasst werden muss, sondern umgekehrte Anstrengungen erforderlich sind. Stichwort: die tägliche Neuversiegelung.“

Ökologisierung urbaner Räume

In der Diskussion wurde von verschiedenen Seiten positiv hervorgehoben, dass das NRL auch Maßnahmen in Siedlungsgebieten einfordere. „Die Verbesserung des Wohnumfelds durch naturbasierte Landschafts- und Erholungsplanung hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert“, strich Ulrike Pröbstl-Haider basierend auf aktuellen Forschungsarbeiten der BOKU heraus. Als Hemmschuh dieser Entwicklung wurde die Planungspraxis im Bereich der Architektur kritisiert, die noch viel zu wenig die wichtigen stadtökologische Belange berücksichtige.  „Stadtklima, Grundwasserneubildungsrate, Aufheizungseffekte, Schadstoffbindung und Förderung der Biodiversität sind nicht nachträglich dekorativ zu behandeln, sondern müssen integrativer Bestandteil städtebaulicher Planungen und urbaner Architekturentwicklung sein,“ betonten Veronika Wirth von der Stadt München und Boris Salak von der TU Wien. Die Diskussion wies in diesem Punkt auch den Bedarf einer Neuorientierung in der stadtplanerischen Ausbildung hin, die auch aus dem NRL abgeleitet werden könne.

Ausbildung, Moderation und Koordination

Im Zusammenhang mit dem Kommunikationsbedarf und einer partizipativen Planung im Rahmen der NRL wurde auch auf das bestehende Defizit an geeigneten Vermittlern und Vermittlerinnen hingewiesen, die nicht nur über theoretische und praktische Kenntnisse im Naturschutz verfügen müssten, sondern auch im Hinblick auf den Natur- und Artenschutz entsprechend geschult sind. In diesem Punkt könnten interdisziplinäre Ausbildungsstätten wie die BOKU eine besondere Rolle einnehmen. „Fehlen diese Kenntnisse aus beiden Bereichen sowie Kenntnisse um Konfliktmanagement, kann die Vermittlerrolle nicht ausgefüllt werden und es besteht die Gefahr einer weiteren Polarisierung“, fasste Rainer Oppermannvom Institut für Agrarökologie und Biodiversität (ifab) diesen Diskussionspunkt zusammen.

Integrativer Naturschutz im Wald

Die Vorgaben im Hinblick auf den Wald wurden insgesamt als geeignet und angemessen empfunden. Die naturnahe Waldbewirtschaftung basiere bereits auf klaren Richtlinien: „In Wirtschaftswäldern wird bereits durch die Baumartenzusammensetzung, den Erhalten von Biotopbäumen, den Totholzanteil und anderen Maßnahmen ein wirksamer Beitrag zu Erhöhung der Biodiversität geleistet“, betonten Georg Frank vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) und weitere Anwesende.  Die aktive Nutzung von Wäldern, insbesondere im Hinblick auf Holz als Baustoff und dessen Bedeutung für den Klimaschutz, wurde als unerlässlich betrachtet. Diese Nutzung stehe laut dem NRL auch nicht im Widerspruch zum Schutz von Arten.

Ausgleichsmaßnahmen und Referenzflächenkonzept

Im Rahmen einer Diskussion über die Regelungen und Initiativen in Niederösterreich wurde abschließend die Entwicklung eines Ausgleichsflächenkatasters nach dem Vorbild deutscher Regelungen erörtert. Ein zentrales Thema war dabei die Frage, inwiefern Kenntnisse über Ausgleichsflächen in die Gestaltung nationaler Restaurierungspläne einfließen könnten. Besonders kritisiert wurde die Unkenntnis über Lage und Zielsetzungen vieler Ausgleichsflächen in den meisten Bundesländern. „Die Einführung von Katastern ist dringend erforderlich, nicht nur im Kontext des NRL“, so der Salzburger LandschaftsarchitektAndreas Knoll. Vor allem Planer und Planerinnen sahen darin die Möglichkeit, Strukturen in einer ausgeräumten Feldflur zu entwickeln und diese in ein Referenzflächenkonzept zu integrieren. Die Diskussion ergab auch, dass marktwirtschaftliche Lösungen wie Flächenagenturen für Ausgleich und Ökokonten hilfreich sein könnten. Hierfür fehlten jedoch noch die rechtlichen Voraussetzungen.

Kontakt
Univ.Prof. Dr. Ulrike Pröbstl-Haider
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung
Email: ulrike.proebstl(at)boku.ac.at
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