Für die Erreichung der österreichischen Klimaziele - vor allem in Hinblick auf die Dekarbonisierung des Gesamtenergiesystems - braucht es Konzepte wie Agriphotovoltaik. Im Rahmen einer Energiecluster-Veranstaltung an der BOKU diskutierten Expert*innen aus Wissenschaft, Praxis und Politik über mögliche Formen der Umsetzung, um Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft, dem Landschaftsbild und der Biodiversität zu minimieren.

Unabhängig davon, wie viel Energieeinsparungspotential wir zukünftig heben, haben wir einen enormen Bedarf nach Energie und mit Blick auf das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz einen erheblichen Bedarf an erneuerbaren Energieträgern. Für die Photovoltaik-Ausbauziele allein im Basisszenario sind darin 50 km2 an neuen Modulflächen vorgesehen, das Umstellen auf Elektromobilität würde zusätzlich 58 km2 erfordern, um fossilen Wasserstoff zu ersetzen weitere 23 km2 ... und so weiter.

„Unter der Annahme, dass wir mit gebäudeintegrierter Photovoltaik 40 % des angestrebten Volumens erreichen, wird Freiflächenphotovoltaik notwendig sein, um unsere Klimaziele zu erreichen“, so Gernot Stöglehner vom Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung (BOKU) bei der Eröffnung der Veranstaltung. Anzustreben sei auch da eine Mehrfachnutzung, die zu keiner zusätzlichen Flächeninanspruchnahme führe. Neben versiegelten Plätzen werde man die PV-Systeme aber auch auf Kulturland unterbringen müssen.

Ökobilanz von Agri-Photovoltaik-Systemen

Boden ist ein begrenztes Gut und sollte effizient genutzt werden: „Agriphotovoltaik (Agri-PV) ermöglicht aus Sicht der Nachhaltigkeitsbewertung sogar eine Reduktion von Umweltwirkungen gegenüber einer einfachen Landnutzung“, so Theresa Krexner und Alexander Bauer vom Institut für Landtechnik (BOKU). „Zudem sichert das zweite Einkommen aus der Stromproduktion das Überleben der Landwirt*innen ab und bringt möglicherweise auch einen positiven Effekt auf den durch Klimawandel verminderten landwirtschaftlichen Ertrag.“ Bei Agri-PV-Anlagen solle jedoch darauf geachtet werden, dass die PV-Module - aber auch andere Komponenten – aus Europa kommen und die Materialien so effizient wie möglich genutzt werden. Weiters brauche es dringend eine Strategie, um PV-Module zu recyclen und um die wertvollen Ressourcen wiederzuverwenden.

Elektrische Energiepotenziale und landwirtschaftliche Produktion

„Die Verwendung von Agri-PV kann Nutzungskonflikte ausgleichen und die Flächeneffizienz sogar erhöhen“, erklärte Christian Mikovits vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (BOKU). „Bei einer geeigneten Kulturwahl reduziert sich der Ernteertrag durch die Installation von Agri-PV-Anlagen um maximal 15 %, während man mit einer Stromproduktion von 35 bis 60 % im Vergleich zu einer Freiflächenanlage rechnen kann. Das bedeutet, dass selbst unter sehr ehrgeizigen Ausbauzielen für Agri-PV nur 5 % der landwirtschaftlichen Produktionsfläche in Österreich betroffen wären , die Ernteerträge würden in Summe um weniger als 1 % reduziert.“  Ein Nachteil dieses Systems seien die höheren Investitionskosten, etwa durch längere Leitungen im Vergleich zu herkömmlichen Freiflächenanlagen. Durch die Mehrfachnutzung steige auch das Risiko, die Anlage zu beschädigen.

"In Deutschland haben wir bei der Entwicklung der Normierung DIN SPEC 91434 mitgearbeitet, um Mindestanforderungen für Agri-Photovoltaik festzusetzen, wie etwa 66% Mindestertrag auf Agri-Photovoltaik Standorten im Gegensatz zu Standorten ohne Agri-PV", so Max Trommsdorff vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE.

„Mit einem 10 ha großen Sonnenfeld in jeder 2. Gemeinde könnten wir 17 % des österreichischen Gesamtstromverbrauchs abdecken - und das bei nur 0,2 ha Flächenverlust pro Anlage“, ergänzte Joachim Payr von EWS Sonnenfeld Erneuerbare-Energie-Projekte mit Lösungsangeboten aus der Praxis.

Schutz der Biodiversität

„Wichtig ist, dass die Energiewende und die Biodiversitätsproblematik gleichrangig gesehen wird und dass nur jene Ressourcen genutzt bzw. gefördert werden, die auch mittelfristig Biodiversität fördern“, betonte Biodiversitätsrat Andreas Tribsch. „Bestimmte Arten von Biomassenutzung oder auch die smarte Nutzung von Agrarflächen lassen positive Auswirkungen auf die Biodiversität erwarten. Daher sehe ich Potential und dringenden Forschungsbedarf, was die agrarischer PV-Mischnutzung (z.B. Getreide/PV oder Grasäcker/PV) betrifft. Dort könnten sogar Lebensräume für fast verschwundene Arten neu entstehen.“ 

Landschaftsbild: Konflikte auf lokaler Ebene

„Die Untersuchungen zur sozialen Akzeptanz von Agri-PV in zwei österreichischen Fallstudiengemeinden haben gezeigt, dass die agrarische Doppelnutzung hohe Zustimmung erfährt“, so Thomas Schauppenlehner vom Institut für Landschaftsentwicklung und Erholungs- und Naturschutzplanung (BOKU). Demgegenüber stünden jedoch Bedenken betreffend Auswirkungen auf das Landschaftsbild und die Erholungsfunktion, wenn es zu höherem Flächenbedarf und einer steigenden Bauhöhe bei manchen Systemen kommt.

Stimmen aus der Politik

„Die Energieerzeugung mit Agri-PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen ist ein sehr intensiv und kontrovers diskutiertes Thema“, so Mathias Janko vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft. Es gebe international zwar eine Reihe von Pilotanlagen, der erforderliche Praxistest stünde noch aus. „Das vorhandene Potential der Stromerzeugung mittels Photovoltaik auf bereits versiegelten Flächen ist weiter intensiv zu nutzen, um dem Zielkonflikt der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte und der Energieerzeugung im erforderlichen Ausmaß zu begegnen.“

Und Kasimir Nemestothy von der Landwirtschaftskammer Österreich betonte: „Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Einsatz von Energie als Waffe gegen die EU haben uns verdeutlicht, dass wir dringend alle Optionen für den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung in Österreich vorantreiben müssen.“ Die Mehrfachnutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Lebensmittel- und Energieproduktion eröffne interessante Chancen für die Weiterentwicklung von Pilotprojekten zu praxistauglichen Konzepten.

Die BOKU-Energiecluster-Veranstaltung „Agriphotovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende“ kann auf https://www.youtube.com/watch?v=XPWK7t9g7WU​​​​​​​ nachgesehen werden.

An der Universität für Bodenkultur Wien gibt es eine Vielzahl von Instituten und Arbeitsgruppen, die mittlerweile alle Aspekte der Energiewende abdecken und die Energieforschung vorantreiben. Der BOKU-Energiecluster ist eine BOKU-weite Plattform, die zur internen Vernetzung und zur nationalen und internationalen Sichtbarmachung der BOKU-Energieforschung beiträgt.