22.06.2023 - Forschung in der Klimakrise: Wie viel Öffentlichkeit ist notwendig?
Im Rahmen einer BOKU-Veranstaltung waren sich viele Expert*innen einig: Man sollte mit der eigenen Forschung die Öffentlichkeit suchen und sich mehr Gehör verschaffen.
Die Verantwortung von Universitäten, „zur Lösung der Probleme des Menschen und zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen“ (§1, Universitätsgesetz, 2002) gewinnt in Zeiten der Klimakrise zunehmend an Bedeutung. Wie weit kann, darf, soll oder muss die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften reichen?
Vergangenen Mittwoch, den 21. Juni, lud die Universität für Bodenkultur Wien zu einer Tagung, bei der Fragen wie diese im Mittelpunkt standen. Zum Einstieg erörterten drei Forscher*innen aus den Bereichen Naturwissenschaft, Sozialwissenschaft sowie Rechtswissenschaft in kurzen Keynotes ihre Perspektiven.
Was tun mit der wissenschaftlichen Evidenz?
„Die Wissenschaft muss in der Klimakrise Fakten liefern, die Öffentlichkeit und Stakeholder objektiv informieren, soll aber auch klar Stellung beziehen und Missstände und Versäumnisse von Entscheidungsträger aufzeigen“, betonte Univ.Prof. Gerhard Herndl, Meeresbiologe an der Universität Wien.
Univ.Prof. Ilona Otto, Transformationsforscherin vom Wegener Center der Universität Graz sieht „science as a social tipping intervention“ und in jeder Krise auch eine Chance, die Gesellschaften umzustrukturieren und widerstandsfähiger gegen künftige Krisen zu machen. „Wissenschaftler*innen können zu den Lösungen beitragen und sollen die Transformationsprozessen begleiten, um eine informationsgesättigte Meinungsbildung zu gewährleisten und die Faktenbasis für Entscheidungen zu übermitteln.“
Univ.Prof. Daniel Ennöckl vom Institut für Rechtswissenschaften an der BOKU sieht Wissenschaftler*innen durch die im Art 17 Staatsgrundgesetz proklamierte Wissenschaftsfreiheit sehr weit und gut geschützt, kann aber daraus keine Publikationspflicht ableiten. „Wenn sich Wissenschaftler*innen unmittelbar an Klimaprotesten (wie z. B. Straßenblockaden, Aktionen in Museen) beteiligen, können sie dennoch wie alle anderen Bürger*innen bestraft werden. Die bloße Erklärung, sich mit den Protesten der Klimaschützer*innen zu solidarisieren und diese ideell zu unterstützen, ist aber durch die Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK) geschützt und kann nicht sanktioniert werden“, so der Umwelt-und Menschenrechtsexperte zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, wo Forschung zur Klimakrise zwischen Freiheit der Wissenschaft und politischem Widerstand steht.
Wissenschaftliche Fakten versus politische Realität
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden diese Sichtweisen um jene aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft erweitert.
Kirsten von Elverfeldt vom Institut für Geographie und Regionalforschung an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt und dem Fachkollegium der Scientists for Future Österreich:
„Wir werden (leider!) auch bei der Bekämpfung der Klimakrise erst im Nachhinein wissen, welcher Weg der Verantwortungsübernahme der richtige war. Und je mehr verschiedene Wege der Verantwortungsübernahme wir austesten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der erfolgreiche dabei ist. Meine einzige Bedingung ist: Es müssen erkenntnisgeleitete, friedliche und auf Gerechtigkeit ausgerichtete Wege sein.“
„Die Universitätsautonomie und die Wissenschaftsfreiheit soll Forscher*innen vor Einflussnahmen ‚von außen‘ bewahren, doch findet der so geschaffene und gewährleistete Freiraum seine Grenzen dort, wo andere Verfassungswerte, Rechte oder Rechtsgüter tangiert oder beeinträchtigt werden“, betonte Elmar Pichl, Sektionschef im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Aktivismus sei keine von Wissenschaft und Forschung abgedeckte Vorgangsweise, so Pichl.
„Ich wünsche mir, dass Wissenschaft viel stärker und massiver in der Kommunikation auftritt“, so Astrid Rössler, Abgeordnete zum Nationalrat und Umweltsprecherin im GRÜNEN Parlamentsklub. „Klimakrise und Biodiversitätskrise werden ohne tiefgreifende Veränderungen unserer Lebensgewohnheiten nicht zu bewältigen sein. Auf diesem Weg der Transformation muss die Wissenschaft der rote Faden zur Entscheidungsfindung sein. Sie muss sich in die gesellschaftliche Diskussion einmischen und ökologische, soziale und ökonomische Auswirkungen unseres Handelns oder Nichthandelns offenlegen.”
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik an der BOKU und aus den Medien bekannt als ein Unterstützer der Letzten Generation: „Wer glaubt, im Klimanotstand politisch neutral bleiben zu können, stützt den fossilen Status Quo. Politische Neutralität in Zeiten großer Krisen und Umbrüche ist eine Illusion, die unsere Zivilisation gefährdet. Solange diese Positionierung vor allem von den größten klimapolitischen Blockierern des Landes kritisiert wird, sehe ich mich in meinem Tun voll bestätigt.“
BOKU-Rektorin und Initiatorin der Tagung, Eva Schulev-Steindl, freute sich über den offenen Diskurs und den regen Austausch mit dem Publikum, darunter viele Studierende. „Da, wo das Juristische aufhört, setzt das Ethische an. Ab da muss jeder für sich selbst entscheiden“, so die Klima- und Umweltjuristin.