Am 21. September findet an der BOKU die 30. Freiland-Tagung – eine der größten interdisziplinären Tierhaltungsfachtagung im deutschsprachigen Raum – statt. Im Fokus stehen ethisch korrekte Nutztierhaltung und mutige Wege für die Tierwohlzukunft.

BOKU-Tierwohlforscherin Sara Hintze ist überzeugt, dass nur eine von der Gesellschaft akzeptierte und unterstützte Landwirtschaft langfristig eine Chance hat. Foto: BOKU Medienstelle/Christoph Gruber

Die Nutztierhaltung von heute ist nicht mit jener von vor 30 Jahren zu vergleichen. Dennoch ist Tierwohl in der Nutztierhaltung noch immer keine Selbstverständlichkeit. So werden etliche der vor 30 Jahren aufgestellten Forderungen der Freiland-Tagung weiterhin mit den gleichen Argumenten verleugnet. Bei der vom Institut für Nutztierwissenschaften der BOKU mitveranstalteten Tagung wird u. a. die Tierwohlwissenschaftlerin Sara Hintze zu Wort kommen. Die BOKU-Nachwuchsforscherin ließ schon in der Vergangenheit mit Forschungsergebnissen in ihrem Spezialgebiet zu Langeweile bei Mastschweinen aufhorchen. Und auch in ihrem Vortrag bei der Freilandtagung steht „Ein positives Leben auch für Tiere?!“ im Mittelpunkt. „Es ist heute ein gesellschaftliches Anliegen, dass es landwirtschaftlich genutzten Tieren gut geht.“

Was sagt die Wissenschaft dazu?

In der Vergangenheit wurde in wissenschaftlichen Studien vor allem auf Einschränkungen des Tierwohls fokussiert, zum Beispiel in Form von Erkrankungen, Verletzungen, aber mittlerweile auch von Emotionen, wie zum Beispiel Schmerz und Stress. Auch werden heute Anstrengungen unternommen, um das Leid von landwirtschaftlich genutzten Tieren zu verhindern oder zumindest zu reduzieren. „Grundvoraussetzung dafür, dass es einem Tier gut geht, ist, dass es keine Erkrankungen oder Verletzungen hat. Aber das ist eben nicht ausreichend“, so Hintze.

Wer über ein positives Leben für Tiere spricht beziehungsweise dazu forscht, ist mit zahlreichen Fragen konfrontiert. Manche sind konzeptioneller Natur, andere stellen die Wissenschaftler*innen bei der praktischen Umsetzung vor Herausforderungen. Konzeptionelle Fragen sind zum Beispiel: Wie viel Positives braucht es in dem Leben eines Tieres? Reichen kurze, dafür aber intensive Hochs oder sind etwas weniger positive, aber dafür langanhaltende Zustände wünschenswert? Können wir gewisse negative Erfahrungen durch positive ausgleichen? Braucht es Variation, also Wechsel zwischen positiven und (leicht) negativen Erfahrungen? „Diese Fragen lassen erkennen, dass die Vorstellung eines positiven Lebens nicht nur komplex ist, sondern sich auch für Mensch und Tier nicht prinzipiell unterscheidet“, so die Tierwohlforscherin. „Noch komplexer wird das Ganze, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es letzten Endes auf die Beurteilung durch das Individuum ankommt – eine Ansicht, die sich langsam auch in der Tierwohlforschung durchsetzt.“

Lässt man theoretische Fragen wie diese vorerst außer Acht und überlegt, wie man in der Praxis herausfinden könnte, wie ein positiv gestimmtes Rind, Schwein oder Huhn eigentlich aussieht? „Da gibt es große Unterschiede zwischen den Tierarten: Ferkel, die Kapriolen springen, wenn sie frische Stroheinstreu bekommen, oder Rinder, die ausgelassen galoppieren und buckeln, wenn sie nach dem Winter das erste Mal auf die Wiese dürfen, lassen kaum Zweifel daran, dass es ihnen in diesem Moment gut geht.“ Doch das Bild sei ein anderes, wenn im Stall weniger los ist, wenn Kühe am Fressplatz stehen oder Schweine einfach so daliegen. „Gefühle werden glücklicherweise nicht nur als subjektive Empfindungen erlebt, sie drücken sich auch als Veränderungen des Verhaltens, der Physiologie und der Kognition, also der Verarbeitung von Informationen, aus. Und diese Veränderungen können wir uns zu Nutze machen. Einige Erfahrung haben wir mit dem Erkennen von solchen Veränderungen als Folge von negativen Zuständen, wie Stress oder Schmerzen. Positive Zustände wie Entspannung oder Freude sind hingegen viel schwieriger zu identifizieren.“

Eine Frage der Haltung

„Die Gesellschaft fordert einen Wandel im Umgang mit landwirtschaftlichen genutzten Tieren, damit die Tiere, die wir nutzen, ein positives Leben haben und nicht nur nicht leiden“, hält Sara Hintze fest. Die Forschung dazu stecke jedoch noch in den Kinderschuhen, aber „die Aufbruchstimmung ist deutlich zu erkennen.“ So hat vergangenes Jahr die von der EU für vier Jahre finanzierte COST Action (European Cooperation in Science and Technology) “LIFT“ (Lifting farm animal lives – laying the foundations for positive animal welfare) gestartet, mit dem Ziel, Forschende, aber auch Stakeholder aus der Industrie aus ganz Europa zusammenzubringen, um sich zu dem Thema auszutauschen. Außerdem wurden vor kurzem mehrere Millionen Euro von der EU für Forschungsprojekte bewilligt, mit dem Ziel, Indikatoren für ein positives Leben für verschiedene landwirtschaftlich genutzte Tiere zu identifizieren, zu validieren und schließlich in der Praxis einzusetzen. „Noch müssen wir uns etwas gedulden bis wir wissen, wie genau wir die positive Stimmung von landwirtschaftlich genutzten Tieren erfassen können – wir sollten aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren, denn auch wenn vielleicht nicht jede*r der Meinung ist, dass wir den Tieren, die wir nutzen, auch ein positives Leben schulden, so hat nur eine von der Gesellschaft akzeptierte und unterstützte Landwirtschaft langfristig eine Chance.“

Die 30. Freiland-Tagung steht unter dem Motto „Eine Frage der Haltung“ und findet am 21. September von 8.45 Uhr bis 18 Uhr an der Universität für Bodenkultur Wien und hybrid im Online-Zoom statt. Mehr Informationen und das Programm finden Sie auf http://www.freiland.or.at/freiland-tagung/.

Wissenschaftlicher Kontakt
Ass.Prof. Dr.med.vet. Sara Hintze, MSc, PhD.
Universität für Bodenkultur Wien
Email: sara.hintze(at)boku.ac.at
Tel.: +43 1 47654 93228