Das Forscher*innen-Team der BOKU bei Beobachtungen und Probeentnahmen. © Wolfram Graf

Das Forscher*innen-Team der BOKU bei Beobachtungen und Probeentnahmen. © Wolfram Graf

Die Belebung der Süßwasser-Biodiversität in Europa ist seit den 2010er Jahren ins Stocken geraten. Das belegt die Langzeitstudie eines internationalen Forschungsteams mit BOKU-Beteiligung, die heute im renommierten Fachjournal „Nature“ vorgestellt wird.

Die heute erschienene Studie zeigt, dass die biologische Vielfalt in Flusssystemen aus 22 europäischen Ländern über einen Zeitraum von 1968 bis 2020 zwar deutlich angestiegen ist - seit den 2010er Jahren jedoch stagniert. Das Wissenschaftler*innen-Team warnt, dass sich viele Flusssysteme nicht vollständig regenerieren konnten. Sie fordern daher zusätzliche Maßnahmen, um die Erholung der biologischen Vielfalt in Binnengewässern wiederzubeleben, denn Süßgewässer-Ökosysteme seien weiterhin und zukünftig großen Belastungen wie Verschmutzung, Klimawandel und invasiven Arten ausgesetzt.

„Neben Krebsen und Muscheln zählen Libellen, Eintags-, Stein-, und Köcherfliegen zu den bekanntesten wirbellosen Tieren unserer Süßgewässer. Einen Großteil ihres Lebens verbringen sie als Larve im Wasser und tragen zu wichtigen Ökosystemprozessen wie zum Beispiel zur Selbstreinigung der Gewässer bei“, erläutert Co-Autorin Astrid Schmidt-Kloiber vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Universität für Bodenkultur Wien. „Zudem dienen sie als wichtige, gesetzlich in der Wasserrahmenrichtline verankerte Indikatoren für den Zustand unserer Süßgewässer.“ Die Überwachung des Gewässerzustandes sei von großer Bedeutung, denn Flüsse und Seen seien einer Vielzahl an anthropogenen Belastungen ausgesetzt und gehörten zu den am stärksten vom Verlust der biologischen Vielfalt bedrohten Ökosystemen.

Erstautor Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und Letztautorin Ellen A.R. Welti, vormals Senckenberg-Wissenschaftlerin und nun Forschungsökologin in den USA am Smithsonian's Conservation Ecology Center, haben gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen einen umfassenden Datensatz von 1.816 Zeitreihen analysiert, die zwischen 1968 und 2020 in Flusssystemen in 22 europäischen Ländern gesammelt wurden und 714.698 Beobachtungen von 2.648 Arten aus 26.668 Proben umfassen.

„Als Reaktion auf den schlechten Zustand der Gewässer in den 1950er und 1960er Jahren wurden zur Wiederherstellung von Süßwasserlebensräumen beispielsweise mit dem ‚US Clean Water Act‘ von 1972 und der EU-Wasserrahmenrichtlinie von 2000 wichtige Gegenmaßnahmen ergriffen“, so Welti. „Diese Maßnahmen führten zu einem deutlichen Rückgang der organischen Verschmutzung und der Versauerung ab etwa 1980. In den letzten 50 Jahren haben diese Schritte zur Eindämmung der Abwasserbelastung und so zu den aufgezeigten Verbesserungen der biologischen Vielfalt im Süßwasser beigetragen. Dennoch nehmen die Anzahl und die Auswirkungen der Stressfaktoren, welche diese Ökosysteme bedrohen, weltweit weiter zu, und die biologische Qualität der Flüsse ist nach wie vor vielerorts unzureichend.“

Obwohl Österreich in diesem Datensatz nur mit zwei, den strengen Auswahlkriterien entsprechenden, Flüssen vertreten ist, kann man laut BOKU Co-Autoren Wolfram Graf und Patrick Leitner, beide vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement, auch hierzulande eine Stagnation bzw. einen erneuten Abwärtstrend in der Biodiversität feststellen. Während die Verbesserungen von Kläranlagen und Abwassernetzen in Österreich – durch Investitionen der letzten Jahrzehnte – eine eher untergeordnete Rolle spielen, sind Maßnahmen wie die Wiederherstellung von Auengebieten, die auch der Reduktion zerstörerischer Überschwemmungen dienen würden sowie die Verbesserung der hydromorphologischen Situation wie zum Beispiel der Rückbau von obsoleten Querbauwerken, notwendig. In landwirtschaftlich genutzten Regionen sind die Reduktion von Einträgen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und Feinsedimenten aus landwirtschaftlichen Flächen zur Verbesserung der Biodiversität anzustreben. Auch die Rolle von Wasserkraftwerken, die das hydrologische Regime maßgeblich verändern, muss analysiert werden. Daneben spielen die Einwanderung und Etablierung gebietsfremder Arten zunehmend eine negative Rolle.

„In Österreich brauchen wir – in Erweiterung zu den Erhebungen für die Wasserrahmenrichtlinie – ein langfristiges, spezifisches auf Süßgewässer ausgerichtetes Biodiversitätsmonitoring, das auch kleinere Gewässer wie beispielsweise Quellen miteinschließt und Umweltdaten miterhebt. Nur so können wir die zeitlichen Veränderungen innerhalb der Artenvielfalt wirksam beschreiben, umweltbedingte Faktoren und stark gefährdete Gebiete ermitteln und den Schutz der biologischen Vielfalt maximieren“, so Schmidt-Kloiber abschließend.

Die DOI-Nummer der Studie “The recovery of European freshwater biodiversity has come to a halt” lautet 10.1038/s41586-023-06400-1, sie wird online auf https://www.nature.com/articles/s41586-023-06400-1 veröffentlicht.

Fotos
https://bokubox.boku.ac.at/#42ee6f37a22b5b39852f397d0489bc4f
© BOKU/Astrid Schmidt-Kloiber/ Wolfram Graf

Bildunterschriften

Foto1: Österreich braucht ein langfristiges Biodiversitätsmonitoring, das auch kleinere Gewässer wie Bäche und Quellen miteinschließt.
Foto2: Invertebraten wie diese Steinfliege sind sehr gute Indikatoren zur Überwachung der Wasserqualität.
Foto3: Das Forscher*innen-Team der BOKU bei Beobachtungen und Probeentnahmen.

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Kontakt
DI Dr. Astrid Schmidt-Kloiber
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement
Email: ask(at)boku.ac.at
Tel.: 01 47654 81225