23.09.2021 -Ein gutes Leben durch weniger Konsum. Widerspruch oder Lösungsweg?
Für die Erreichung von Nachhaltigkeits- und Klimazielen sind neben der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen, Ressourceneffizienz oder Bioökonomie auch der Wandel von Konsummustern und Werten eine wesentliche Säule. Anlässlich des Pre-Symposiums „Konsum neu denken“ lud das Institut für Marketing und Innovation (BOKU) Expert*innen aus verschiedensten Disziplinen zu einem Ideenaustausch rund um das Thema Suffizienz ein.
Das Thema Suffizienz ist eine multidisziplinäres. Es stellen sich volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, politische und viele andere Fragen, wie ein suffizienter Wandel der Gesellschaft und des Wirtschaftssystems aussehen könnten. Was braucht es? Welche Gesellschaftsgruppen könnten profitieren oder verlieren? Was bedeutet eine Veränderung für Betriebe und das Wirtschaftswachstum. Das Symposium, das in Kooperation mit dem Netzwerk „Konsum neu denken“ veranstaltet wurde, hat es sich zum Ziel gemacht, den wissenschaftlichen Austausch über Disziplinen hinweg zu forcieren, verschiedene Sichtweisen zu diskutieren und interdisziplinäre Forschungsprojekte zu initiieren.
„Ein Wertewandel geschieht nicht von heute auf morgen. Weder in Unternehmen, noch bei Konsument*innen“, betont Petra Riefler, Professorin am Institut für Marketing und Innovation. An der BOKU wird zu Motivationen und Barrieren von Suffizienz auf Konsumentenebene geforscht. In einem laufenden Projekt stellt man sich im Speziellen die Frage, ob und wie positiv-geframte Kommunikation eine Veränderung von Konsumverhalten unterstützen kann.
All you need is less
In seiner Keynote betonte Niko Paech (Plurale Ökonomik, Universität Siegen), dass Suffizienz keine Verwandte des nachhaltigen Konsums ist, sondern dessen Widerpart, der Nicht-Konsum. „Nachhaltiger Konsum zielt lediglich auf effiziente oder konsistente, also weniger schädliche Ersatzlösungen. Dagegen konkretisiert Suffizienz die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Entwicklung, die diesen Namen verdient, nicht in einer Kunst des zusätzlichen Bewirkens – ganz gleich ob technologisch oder institutionell –, sondern nur in einer gezielten und ersatzlosen Unterlassung bestehen kann.“ Suffizienz sei eine logische Konsequenz aus der Einsicht, dass alle Versuche, das zeitgenössische Wohlstandsmodell kraft technischer Innovationen zu entkoppeln (GreenGrowth, Green New Deal) nicht nur gescheitert sind, sondern zuweilen zu einer Verschlimmbesserung der ökologischen Situation geführt haben. Dennoch sei Suffizienz nicht mit Verzicht gleichzusetzen, da sie zugleich eine Antwort auf moderne Überlastungsphänomene verspricht, zumal Konsumgesellschaften längst vor psychischen Wachstumsgrenzen stehen.
Kunst und Design im Nachhaltigkeitskontext
Christa Liedtke (Wuppertal Institut) stellte Nachhaltigkeit in Verbindung mit Kunst und Design ins Zentrum ihrer Überlegungen. „Nachhaltigkeit muss sich kommunizieren lernen, ansonsten berührt sie nicht. Kunst und Design intervenieren und schaffen emotionale Bezüge, positive wie widerstreitende. Nachhaltigkeit ist einer Gerechtigkeit verpflichtet, sonst lohnt sie nicht und ist stumpf. Kunst und Design soll ein- oder ausschließen und vor allem immateriell prassen. Das ist eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunft und Demokratie. Nachhaltigkeit ist ein kaum fassbarer Deutungsraum. Das nervt und ist gleichzeitig charmant. Kunst und Design schaffen Vielfalt an Deutungs- und Konflikträumen, beleben und gestalten den öffentlichen Raum.“
Livia Regen (DeGrowth Vienna, WU Wien) betonte in der anschließenden Diskussionsrunde, wie wichtig es sei, das Thema Produktion, die Konsum vorausgeht und damit Konsum formt, in die Debatte einzubeziehen: „Gleichzeitig muss die Idee eines guten Lebens gesamtgesellschaftlich durch Umstrukturierungen und neue Denkweisen von Konsum entkoppelt werden.”
Johanna Bürger (Arbeiterkammer Wien, Konsumforscherin) betonte, dass in der Diskussion um suffizienten Konsum auch immer Haushalte mit kleinem Geldbeutel berücksichtigt werden müssten: „Leute, die wenig konsumieren, machen das in der Praxis oft nicht freiwillig. Nachhaltiges Konsumverhalten muss den Weg aus der Nische finden. Dafür muss es für Konsument*innen leistbar sowie leicht in den Konsumalltag integrierbar sein und es braucht transparente Verbraucher*innen-Informationen.“
„Häufig wird übersehen, dass Wachstum nicht ausschließlich quantitativ zu verstehen ist“, so Christoph Schneider (Wirtschaftskammer Österreich, Abteilungsleiter Wirtschaft- und Handelspolitik). Auch ein mengenmäßig konstanter Output könne infolge von Qualitätsverbesserungen und technologischen Fortschritt mit einem realen Wachstum einhergehen. „Dabei erfüllt Wachstum natürlich keinen Selbstzweck, sondern stellt vielmehr die Grundlage für ein hohes Ausmaß an Lebensqualität dar.“
Kim Aigner (SOL – Solidarität, Ökologie, Lebensstil) fasste ihre Position in drei Strophen zusammen: „Ich HABE genug! Ich muss nicht immer mehr haben. Und die wirklich guten Dinge im Leben gibt es ja ohnehin umsonst. Ich habe GENUG! Ich fordere eine bessere Welt. Mit Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich und einer intakten Umwelt. ICH habe genug … Fantasie und Kraft. Gemeinsam mit Gleichgesinnten bewege ich etwas.“
Kontakt
Prof. Dr. Petra Riefler
Charlotte Baar, MSc
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Marketing und Innovation
suffizienz-symposium(at)boku.ac.at