In „The Metabolism of Islands“ präsentieren Forscher*innen der BOKU gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen Strategien zur Erhaltung kleiner Inseln in einer Zeit globaler Umweltveränderungen.

Inseln sind Hotspots der biokulturellen Vielfalt und Heimat von 600 Millionen Menschen, die für ihren Lebensunterhalt auf ein Sechstel der Gesamtfläche der Erde, einschließlich der umgebenden Ozeane, angewiesen sind. Heute stehen sie an vorderster Front des Klimawandels und befinden sich in einer existenziellen Krise. Die Pazifik-Insel Kiribati, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist, ist das aktuell wohl prominenteste Beispiel.

Inseln sind jedoch auch potenzielle „Innovationszentren“ und befinden sich in einer einzigartigen Position, um in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine Führungsrolle zu übernehmen. In dem soeben erschienenen Buch „The Metabolism of Islands“, argumentieren die Autor*innen, unter ihnen Forscher*innen des Instituts für Soziale Ökologie (SEC) der Universität für Bodenkultur Wien, dass ein vollwertiges Programm für eine „industrielle Inselökologie“ dringend erforderlich ist, um politikrelevante Erkenntnisse und Strategien zur Erhaltung kleiner Inseln in einer Zeit globaler Umweltveränderungen anzubieten. Sie stellen die wichtigsten Konzepte der industriellen Ökologie und den Stand der Technik bei ihrer Anwendung auf Inseln vor. Bei der Analyse des Stoffwechsels von Inseln haben die Forscher*innen die sozio-metabolische Forschung (SMR) angewandt, eine Forschungstradition innerhalb der industriellen Ökologie (IE) zur systematischen Untersuchung der biophysikalischen Bestände und Flüsse von Material und Energie im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Produktion und Konsum.

Beteiligung der Bewohner*innen

„Gemeinsam ist den Beiträgen in dem Band, dass es nicht nur darum ging, diese Phänomene zu erforschen, sondern auch darum, die Inselbewohner*innen in oft langjährigen Prozessen dabei zu unterstützen, neue Lösungen zu finden“, betont Marina Fischer-Kowalski vom SEC, eine der Herausgeber*innen. „The Metabolism of Islands“ ist aus einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Simron Singh (ehemals am Institut für Soziale Ökologie, derzeit University of Waterloo), Marina Fischer-Kowalski und Marian Chertow (Yale University) zum sozialökologischen Schicksal von kleinen Inseln entstanden – von denen es weltweit mehr als 400.000 gibt.

Neu gestaltete Ressourcennutzung

Die 35 Autor*innen gehen der Frage nach, wie eine Umgestaltung der Muster der Ressourcennutzung es den Inselregierungen ermöglichen kann, Widerstandsfähigkeit aufzubauen und sich an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Denn so wie der Stoffwechsel den Körper eines Menschen beeinflusst, wirkt sich der Prozess des gesellschaftlichen Stoffwechsels auf soziale Systeme und ihre natürliche Umwelt aus, indem er die Land- und Meeresnutzung (durch Bergbau, Urbanisierung, Fischerei und Landwirtschaft) verändert und im Laufe der Zeit Druck auf Ökosysteme, die Atmosphäre und biogeochemische Kreisläufe ausübt. Klimastörungen, der Anstieg des Meeresspiegels, Wirbelstürme und möglicherweise sogar Pandemien sind Beispiele für Störungen des Ökosystems, an die sich die Gesellschaft anpassen und vor denen sie sich schützen muss, indem sie die bestehenden Muster des sozialen Stoffwechsels verändert.

Mitarbeiter*innen des SEC haben auf der griechischen Insel Samothraki über 12 Jahre hinweg Forschungen durchgeführt. Fischer-Kowalski und ihre Mitautor*innen veranschaulichen, wie Inseln als reale Laboratorien zur Förderung der Nachhaltigkeit dienen können. Die Autor*innen zeigen auf, wie die Umgestaltung der lokalen Landwirtschaft und der Infrastruktur entscheidend für die Nachhaltigkeit der Insel ist.

Überweidung auf Samothraki

Dominik Noll (SEC) und seine Kolleg*innen konzentrierten sich in ihrem Beitrag auf die Biomasseströme im Zusammenhang mit der Überweidung durch Vieh auf Samothraki. Sie zeigen die Verschlechterung der lokalen Ökologie durch die Konzentration auf immer größere Viehbestände, die durch die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) gefördert werden. Das Beispiel von Samothraki zeigt die komplexe Interaktion zwischen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren auf einer Insel. „Die meisten Bauern auf Samothraki haben eine sehr pessimistische Sicht auf ihre Zukunft.“ Für die aktiven Bauern gibt es nun das Angebot einer Firma, ihre gesamte Milchproduktion zu einem günstigen Preis (wegen ihrer besonders guten Qualität) abzukaufen. Den pensionierten Bauern soll nach unserem Vorschlag angeboten werden, ihnen ihre traditionellen Weiderechte abzukaufen (als Kompensation für eingebüßte CAP-Subventionen), wenn sie ihre Tierhaltung aufgeben“, erläutert Dominik Noll.

Fähigkeit zur Selbstorganisation

Im Fall von Samothraki ging die Forschung des Instituts für Soziale Ökologie über das hinaus, was man normalerweise von der Wissenschaft erwartet: „Unsere Arbeit und unsere regelmäßige Anwesenheit scheinen Ermutigung gebracht zu haben. Sie ermutigten eine Reihe von Menschen, nicht zu resignieren und sich mit dem Gegebenen zufrieden zu geben, sondern darauf zu vertrauen, dass etwas Besseres erreicht werden kann. Sie gewannen an Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, Mittel zu beschaffen und Prozesse in Gang zu setzen. Dies gilt insbesondere für die Mitglieder der Bottom-up-Initiativen, aber auch für einige Mitglieder der öffentlichen Verwaltung, interessierte Partner*innen in den Regionalregierungen und eine Reihe lokaler Landwirt*innen und Tourismusunternehmer*innen“, so Fischer-Kowalski abschließend.

Simron Singh, Marina Fischer-Kowalski, Marian Chertow (Hrsg.), “The Metabolism of Islands”

August 2021

https://doi.org/10.3390/books978-3-0365-0937-2

https://www.mdpi.com/books/pdfview/book/4097

 

Kontakt:
Em. Univ. Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Soziale Ökologie (SEC)
marina.fischer-kowalski(at)boku.ac.at
01 47654-73731

Mag. Dominik Noll
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Soziale Ökologie (SEC)
dominik.noll(at)boku.ac.at
01 47654-73736