31.08.2021 - Nutztiersektor in vielen EU-Regionen größer als die potentielle Tragfähigkeit der Agrarökosysteme
Forscher*innen an der BOKU haben in einer gerade erschienenen Publikation die Nutzungsintensität der Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf das Funktionieren von Ökosystemen erforscht. Für die gesamte EU (inkl. UK) zeigt sich, dass die Viehhaltung in rund einem Drittel der Regionen die Möglichkeiten der lokalen Agrarökosysteme übersteigen.
Das Bestreben der Landwirtschaft ist es, ausreichend Lebens- und Futtermittel bereit zu stellen. Basis für Ackerbau und Viehzucht sind funktionierende Ökosysteme und deren regulierende Funktionen, die z.B. zur Aufrechterhaltung von fruchtbaren Böden beitragen. An der Universität für Bodenkultur Wien haben Forscher*innen jetzt den Zusammenhang von Biomassebereitstellung und regulierenden Ökosystemleistungen in EU-Regionen erforscht. Sie haben dabei Indikatoren aus dem Human Appropriation of Net Primary Production (HANPP) Framework verwendet, mit Hilfe derer man die Landnutzungsintensität erkennt, um Muster für unterschiedliche Funktionen von Agrarökosystemen zu errechnen.
Die Nettoprimärproduktion (NPP) ist ein zentrales Maß für die Energie aller Nahrungsnetze. Sie gibt die Menge an energiereichen organischen Substanzen (Biomasse) an, die Pflanzen durch Photosynthese mit Hilfe von Sonnenenergie netto herstellen. Die NPP stellt damit die Grundlage für die Diversität aller Tiere, Pilze und Mikroorganismen dar. „Anhand einer systematischen Betrachtung dieses Indikators war es uns möglich, die durch landwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln und Futtermitteln ausgelösten Veränderungen in Ökosystemen zu quantifizieren und diese Veränderungen mit der Tragfähigkeit der Ökosysteme in Beziehung zu setzen“, so Andreas Mayer vom Institut für Soziale Ökologie an der BOKU.
Klarer Zielkonflikt zwischen Biomasseernte und regulierenden Ökosystemleistungen
Agrarsysteme in der EU sind hocheffizient was die Bereitstellung von Biomasse aus dem Acker- und Grünland betrifft. Für die Ernte von einem Kilogramm Ackerfrüchte und Grünfutter werden durchschnittlich rund die 1,6-fache Menge an Nettoprimärbiomasse aus Agrarökosystemen angeeignet: Das bedeutet rund 1.680 Megatonnen (Mt) HANPP für rund 1.020 Mt Biomasse aus dem Acker- und Grünland. Für die Herstellung von tierischen Produkten wie Milch oder Fleisch allerdings ist dieses Verhältnis wesentlich höher: Hier werden 1.750 Mt HANPP virtuelle Flüsse in der Form von 44 Mt tierischen Lebensmitteln gesellschaftlich angeeignet, also durchschnittlich die 40-fache Menge.
„In EU-Regionen mit einem hohen Anteil von Grünland und Dauerkulturen dominieren die regulierenden Ökosystemleistungen“, so Andreas Mayer. In diesen Systemen verbleibt ein verhältnismäßig höherer Anteil an Biomasse nach der Ernte, mit positiven Effekten für die Bodengesundheit und heterotrophe Nahrungsketten. „Die Größe von Nutztierproduktion in der EU, etwa im Vergleich zur Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln, hat uns aber dann doch überrascht. In rund einem Drittel der EU-Region (Beneluxländer, Westfrankreich, Norditalien und Regionen in Polen) übersteigt der Umweltdruck des Viehsektors, besonders die benötigte Futtermenge, sogar die potentielle Produktionskapazität der lokalen Agrarökosysteme“, betont Mayer.
Fazit: „Es bedarf einer umsichtigen Betrachtung der Dynamiken zwischen tierischer Produktion und Ökosystemen“, so Mayer. „Die nachhaltige Produktion von Milch, Eiern und Fleisch benötigt die Kombination von zwei Wegen: „Erstens, der stärkeren Orientierung der Produktion an den potentiellen Produktionskapazitäten. Dies ist bei der Schweine- und Hühnerhaltung die Verbindung mit verfügbarem Ackerland, und bei der Rinderzucht mit lokalem Grünland. Und zweitens, die Reduktion der (industriellen) Massenproduktion von tierischen Lebensmitteln. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung würde diese Reduktion des Nutztiersektors nicht nur gesundheitliche Vorteile bringen (siehe pro Kopf-Verbrauch von tierischen Produkten), sondern auch gravierende Vorteile für die Umwelt und die regulierenden Ökosystemleistungen.“
Die Studie "Applying the Human Appropriation of Net Primary Production framework to map provisioning ecosystem services and their relation to ecosystem functioning across the European Union" ist im Journal Ecosystem Services veröffentlicht. Mayer, A., Kaufmann, L., Kalt, G., Matej, S., Theurl, M.C., Morais, T.G., Leip, A., Erb, K.-H., 2021. Applying the Human Appropriation of Net Primary Production framework to map provisioning ecosystem services and their relation to ecosystem functioning across the European Union. Ecosystem Services 51, 101344. https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2021.101344
Kontakt:
Mag. Dr.rer.soc.oec. Andreas Mayer
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Soziale Ökologie
Email: andreas.mayer(at)boku.ac.at
Tel.: 0650 9231852